Angst vor Einbrecherbanden? Georgien und die Visumfreiheit Von Ansgar Haase, Friedemann Kohler und Christiane Jacke, dpa

08.06.2016 17:03

Georgien hofft seit Jahren auf visumfreies Reisen in die EU. Doch die
Schlagzeilen über kriminelle Banden aus dem Land stören die
Verhandlungen. In Deutschland gibt es Widerstand gegen das Vorhaben.
Was wird nun daraus? Und was ist dran an den Vorwürfen?

Berlin/Brüssel/Moskau (dpa) - «Asylmissbrauch und Verbrechen»: Wer
Unionspolitikern zuhört, kann es mit der Angst zu tun bekommen vor
Georgiern. Abgeordnete von CDU und CSU warnen davor, Georgien
Visafreiheit in der EU zu geben. Sie mahnen, es drohe die massenhafte
Einreise von Asylbewerbern aus dem Land - und die Einreise von noch
mehr Einbrecherbanden, die deutsche Eigenheime leerräumten. Polizei
und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) klagen seit einiger Zeit
über kriminelle georgische Banden. Auch in einem neuen Bericht des
Bundeskriminalamts tauchen Georgier in diesem Zusammenhang auf. Nun
blockieren Deutschland und andere EU-Staaten eine schnelle
Entscheidung über die Aufhebung der Visumpflicht für Georgier.

Wie groß ist das Kriminalitätsproblem denn wirklich?

2015 erfasste die Polizei gut 4500 georgische Tatverdächtige für alle
möglichen Straftaten - die meisten wegen Ladendiebstahl und
Wohnungseinbruch. Zum Vergleich: Die Zahl der «nichtdeutschen»
Tatverdächtigen lag insgesamt bei mehr als 550 000, die Zahl aller
Tatverdächtigen bei mehr als zwei Millionen. Laut Polizei kommen
viele Georgier als Asylbewerber ins Land und nutzen die Zeit bis zu
ihrem - fast immer negativen - Asylbescheid für Einbrüche. Auch in
einem neuen BKA-Bericht zur Kriminalität unter Zuwanderern werden sie
erwähnt. Generell ist die Kriminalität unter Flüchtlingen demnach
rückläufig, und der «weitaus größte Anteil» von ihnen begeht ke
ine
Straftaten. Wenn sie es doch tun, dann sind Georgier aber
überdurchschnittlich oft unter den Tatverdächtigen - neben Algeriern,
Marokkanern, Tunesiern oder Serben. Das BKA beklagt durchaus, dass
Georgier organisiert in Banden auf Einbruchtour gehen. Allerdings
sind sie hier keineswegs die Spitzenreiter. Kriminelle aus
Balkanstaaten wie Serbien sind da noch aktiver.

Wie kommt es dazu, dass ausgerechnet jetzt die Visumpflicht für
georgische Bürger aufgehoben werden soll?

Die Verhandlungen über eine mögliche Visaliberalisierung laufen schon
seit 2012. Die Regierung in Tiflis setzte zahlreiche
EU-Reformforderungen um - mit dem Ergebnis, dass Experten der
EU-Kommission Ende des vergangenen Jahres zu dem Schluss kamen, dass
Georgien alle Voraussetzungen erfüllt. Im März präsentierte die
EU-Kommission einen Vorschlag zur Änderung der entsprechenden Regeln.
Der muss aber noch von EU-Staaten und Parlament angenommen werden.

Deutschland und andere Staaten wie Frankreich und Italien haben nun
kurzfristig den geplanten Minister-Beschluss zur Visaliberalisierung
blockiert. Ist das das Aus für eine Visafreiheit der Georgier?

Nein. Sie werden sich allerdings noch etwas gedulden müssen.
Eigentlich war für den kommenden Freitag eine Abstimmung beim
Innenministertreffen in Luxemburg geplant. Dazu kommt es nun aber
nicht. Nach Angaben aus EU-Kreisen bestehen Deutschland & Co. darauf,
dass vor der Entscheidung zunächst die neue «Notbremse» eingeführt

ist. Diese soll es erlauben, die Visumfreiheit bei Missbrauch
leichter wieder zurücknehmen. Zudem soll die EU-Kommission dazu
gebracht werden, Kriminalitätsstatistiken besser auszuwerten. Damit
die neue Notbremse eingesetzt werden kann, muss nur noch das
EU-Parlament zustimmen. Die Abstimmung könnte Anfang Juli erfolgen.

Droht wirklich mehr Kriminalität, wenn der Visumzwang fällt?

Das ist umstritten. Kritiker der geplanten Liberalisierung sind der
Meinung, dass Kriminelle noch einfacher zwischen Deutschland und
Georgien pendeln könnten. Befürworter argumentieren dagegen, dass der
Visumzwang Kriminelle aus Georgien offensichtlich nicht davon abhält,
in EU-Staaten auf Beutezug zu gehen. Kaum nachvollziehbar sei es
deswegen, die große Mehrheit der nicht-kriminellen Georgier für die
Vergehen weniger Landsleute zu bestrafen.

Warum ist die Visafreiheit für Georgien wichtig?

Die ehemalige Sowjetrepublik im Südkaukasus ist seit Jahren auf
Westkurs, nähert sich EU und Nato an. Ein Beitritt ist angesichts
ungelöster Probleme mit dem großen Nachbarn Russland derzeit
ausgeschlossen. Aber Georgien versteht das visafreie Reisen seiner
Bürger durchaus als Anerkennung für Reformen.

Wie reagieren die Georgier auf die Kriminalitätsvorwürfe?

Georgiens Innenminister Georgi Mgebrischwili war im April zu
Gesprächen in Deutschland und erklärte, Verbrecher aus Georgien, die
in der Bundesrepublik Einbrüche begingen, brächten Schande über sein

Land. Die georgische Regierung werde alles tun, um ihnen das Handwerk
zu legen. Andere Georgier fühlen sich dagegen angegriffen. «Georgien
ist kein kriminelles Land», heißt es in einem offenen Brief
georgischer Studenten in Deutschland. Sie beklagen eine «mediale
Attacke». Manch einer vermutet, dass das Thema Kriminalität auch nur
vorgeschoben ist. Eigentlich steckten die Probleme der EU in der
Flüchtlingskrise dahinter, meint etwa der georgische Politologe Ramas
Sakwarelidse. «Der Westen sucht einen Vorwand, um die
Visa-Liberalisierung abzulehnen.»