Zwei Weltkriege, eine Weltmeisterschaft und ein möglicher Brexit Von Gaby Mahlberg, dpa

21.06.2016 12:49

Springerstiefel, Panzer und Weltkriegsrhetorik - in der Debatte über
einen möglichen Austritt aus der EU schrecken britische EU-Kritiker
auch nicht vor anti-deutschen Ressentiments zurück.

Berlin (dpa) - Zwei Weltkriege und eine Weltmeisterschaft haben sie
gegen Deutschland gewonnen - so feiern sich die Engländer in einer
beliebten Fußballhymne. Brexit-Befürworter in Großbritannien machten

vor dem EU-Referendum an diesem Donnerstag auch einen Austritt
Großbritanniens aus der EU zum Symbol des Widerstandes gegen die
Deutschen und ihren gefühlten neuen Imperialismus.

Anti-deutsche Symbolik und Rhetorik ist eine beliebte Strategie der
Austrittswilligen in Großbritannien. In Portsmouth warben EU-Kritiker
mit einem Poster im Stil der 1930er-Jahre. Es zeigt einen
Springerstiefel mit dem Sternenkreis der europäischen Flagge - unter
dem Stiefel die Silhouette Londons, wie ein Twitter-Nutzer postete.

«HALT ze German advance! Vote Leave» («Stoppt den deutschen
Vormarsch! Stimmt für den Austritt») war erst kürzlich auf
Werbeplakaten entlang der Autobahn M40 zwischen London und Birmingham
zu lesen. Da wurde ein Verlassen der EU mit dem Widerstand gegen
Nazi-Deutschland assoziiert. Zwar protestierten viele Nutzer sozialer
Medien auf Twitter gegen solchen «fremdenfeindlichen Scheiß» und den

«tragischen Populismus» der Kampagne, doch auch namhafte Politiker
erinnern gern mal an die deutsche Bedrohung im Zweiten Weltkrieg.

Der ehemalige Londoner Bürgermeister Boris Johnson sagte in einem
Interview des konservativen «Sunday Telegraph» Mitte Mai, die
vergangenen 2000 Jahre europäischer Geschichte seien von Versuchen
gekennzeichnet gewesen, den Kontinent zu einem Superstaat zu einigen.
«Napoleon, Hitler, verschiedene Leute haben das versucht, und es
endet (immer) tragisch», warnte der Tory, der als möglicher
Nachfolger von David Cameron für das Amt des Premierministers gilt.

Die Historikerin Rachel Chin, die an der Universität Exeter im
englischen Südwesten forscht, bezeichnet diese Rhetorik im Kern als
«emotional und nostalgisch». «Sie ist auch zutiefst beunruhigend»,

schreibt sie auf ihrem Blog, weil «solche allzu sehr vereinfachten
Konzepte von nationaler Identität und einem Patriotismus aus
Kriegszeiten» jede sachliche Debatte verhinderten. «Es ignoriert auch
die Tatsache, dass der Zweite Weltkrieg ein globaler Konflikt war.»

Der ehemalige konservative Arbeitsminister Ian Duncan Smith dagegen
verteidigte Johnsons historischen Vergleich. Es gehe um die
«unsinnige Idee», die so unterschiedlichen Länder Europas gewaltsam
zusammenzutreiben.

Auch der Milliardär Peter Hargreaves, der die Brexit-Kampagne
finanziell unterstützt, beschwor einen möglichen EU-Austritt als
Flucht vor den Deutschen. «Es wird wieder so sein wie Dünkirchen»,
zitierte der «Guardian» den EU-Kritiker, der damit auf die
Evakuierung britischer Soldaten über den Hafen der nordfranzösischen
Stadt anspielte, nachdem das Gebiet an die Nazis gefallen war.

Viele Briten könnten sich eben noch immer nicht damit abfinden, dass
ihr Land keine Weltmacht mehr sei, meint auch die deutsche
Historikerin Tanja Bültmann, die an der Northumbria University im
nordenglischen Newcastle lehrt. «Stattdessen muss man sich -
zumindest gefühlt - der EU unterordnen. Und das, ... obwohl man den
Krieg gewonnen hat», sagt Bültmann. Und das schmerze die Briten,
zumal Deutschland in Europa oft als «Tonangeber» rüberkomme, «auch

wenn es oft gar nicht so ist.»

Auf ihrem Twitter-Auftritt wirbt Bültmann für einen Verbleib der
Briten in der EU. Das gefällt nicht jedem: Neulich schickte ihr ein
verärgerter Brexit-Anhänger als Antwort ein Bild von einem Panzer.