Boris Johnson beim Außenministertreffen - Böser Bube oder handzahm? Von Silvia Kusidlo, dpa

17.07.2016 11:54

Boris Johnson hat sich im Laufe seiner Karriere mit ziemlich vielen
Leuten angelegt. Mit Spannung wird jetzt in Brüssel sein erster
großer Auftritt als Außenminister auf EU-Ebene erwartet.

London (dpa) - Beim EU-Außenministertreffen am Montag werden die
Politiker einen Kollegen besonders kritisch unter die Lupe nehmen:
den neuen britischen Außenminister Boris Johnson. Der Konservative
ist für derbe Sprüche und wenig diplomatisches Auftreten bekannt.

Was werfen Kritiker Johnson vor?

Viele sehen in Johnson einen unverschämten Wortakrobaten und halten
ihn auf dem politischen Parkett für ungeeignet. So hielt er der EU
vor, einen Superstaat schaffen zu wollen. «Napoleon, Hitler,
verschiedene Leute haben das versucht, und es endet (immer)
tragisch.» Nicht selten wird er persönlich beleidigend: Das Aussehen
von Hillary Clinton, der möglichen neuen US-Präsidentin, verglich er
in einem Interview von 2007 mit einer Krankenschwester in einer
Heilanstalt. Kritiker spotteten im Netz, Johnson brauche wohl bis
Weihnachten, um sich bei allen ausländischen Politikern zu
entschuldigen, die er schon in seiner Karriere beleidigt hat.

Was schätzen seine Anhänger an ihm?

Der 52-Jährige ist derb, witzig, volksnah. Auch als früherer
Bürgermeister Londons zog er die Massen an. Er gehört zu den
beliebtesten Politikern Großbritanniens. Manche meinen, dass hinter
seinem ungehobelten Verhalten, Herumkleckern beim Essen und
Grimassen-Schneiden reines Kalkül steckt. Tatsächlich stammt Johnson
aus dem Establishment, genoss Top-Ausbildungen in Eton und Oxford und
er umgab sich seit frühester Jugend mit Freunden aus der Oberschicht.

Wieso hat die britische Premierministerin ihn überhaupt ernannt?

Das könnte ein geschickter Schachzug sein. Theresa May hatte noch vor
einigen Wochen für den Verbleib in der EU plädiert. Nach ihrer Wahl
als Regierungschefin stellte sie klar: «Brexit bedeutet Brexit.» Um
den Austritt zu vollziehen und Ruhe in ihre Partei zu bringen,
braucht sie ein starkes Team. Da kommt Brexit-Wortführer Boris
Johnson gerade recht. Außerdem schuf May einen neuen Posten: einen
Minister speziell für den EU-Austritt. Dieses Amt übertrug sie dem
erzkonservativen David Davis, der die Scheidung von der EU regeln
soll. Johnson steht also beim Brexit gar nicht im Mittelpunkt. Ein
weiterer Vorteil seiner Ernennung: Als Außenminister kann er nicht
mehr mit scharfer Zunge die eigene Regierung attackieren.

Wie reagierten andere Außenminister auf die Ernennung?

Skeptisch bis ablehnend. Für Frankreichs Außenminister Jean-Marc
Ayrault spiegelt Johnsons Ernennung die Krise des Landes wider. «Er
hat die Briten heftig angelogen.» Frank-Walter Steinmeier sprach kurz
vor Johnsons Ernennung von «verantwortungslosen Politikern», die die
Briten in den Brexit gelockt und sich dann aus dem Staub gemacht
hätten. Einen Namen nannte er zwar nicht - aber es war klar, wer da
gemeint war. Jetzt bezeichnet der deutsche Außenminister seinen
britischen Amtskollegen als «gewieften Parteipolitiker».

Wird Johnson sich auf Dauer halten können?

Schwer zu sagen. Seit seiner Ernennung ist Johnson eher handzahm im
Auftreten. «Habe mit dem türkischen Außenminister gesprochen. Ich
habe die Unterstützung Großbritanniens für die demokratisch gewählt
e
Regierung und die Institutionen unterstrichen», twitterte er am
Samstag nach dem Putschversuch in der Türkei. Vor seiner Ernennung
schlug Johnson ganz andere Töne an und nannte den türkischen
Präsidenten in einem Spontangedicht einen «Wichser». Große
außenpolitische Leistungen trauen die meisten Experten dem
52-Jährigen nicht zu. «Wahrscheinlicher ist, dass er Fehler macht und
irgendwann ausgewechselt werden muss», sagte der
Politikwissenschaftler Hermann Schmitt dem «Mannheimer Morgen».