Rechtsstaatlichkeit: Warschau gibt im Streit mit Brüssel kontra Von Natalie Skrzypczak und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

20.02.2017 20:20

Fährt die EU-Kommission im Streit um Rechtsstaatlichkeit gegen Polen
härtere Geschütze auf? Monatelang hat Warschau die Warnungen Brüssels

ignoriert. Und daran scheint sich nichts zu ändern.

Warschau/Brüssel (dpa) - Seit gut einem Jahr prangert die
EU-Kommission Demokratieverstöße in Polen an und droht mit
Sanktionen. Doch die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit PiS
gibt sich ungerührt. Kurz vor Ablauf der von Brüssel gesetzten Frist
am Dienstag lenkte Warschau nicht etwa ein, sondern gab noch einmal
kräftig kontra. Bald steht die EU vor der schwierigen Entscheidung,
ob sie wirklich gegen Polen vorgehen und dem Land womöglich gar das
Stimmrecht entziehen soll. Ein Überblick über den langwierigen
Streit:

Warum prüft die EU-Kommission in Polen die Rechtsstaatlichkeit?

Seit ihrem Wahlsieg 2015 versucht die nationalkonservative Regierung
aus Sicht von Kritikern, Polens Justiz und öffentlich-rechtliche
Medien unter ihre Kontrolle zu bringen. Die EU-Kommission sieht
deshalb die Demokratie bedroht. Die Medienfreiheit sei gefährdet,
weil Vorstände von Radio und Fernsehen nun direkt von der Regierung
ernannt würden. Tatsächlich häufen sich in Polen Vorwürfe, die
Medienhäuser betrieben Regierungspropaganda und Zensur.

Noch mehr Sorge bereitet Brüssel die Reform des polnischen
Verfassungsgerichts. Die PiS habe die Arbeitsweise des Gerichts und
die Besetzung der Richterposten so geändert, dass das Tribunal die
Regierung nicht ungehindert kontrollieren könne, lautet die Kritik.
Die Kommission sieht eine Säule des Rechtsstaats in Gefahr. Im Januar
2016 leitete sie ein Prüfverfahren ein. Zwei Mal schon forderte sie
Polens Regierung auf, das umstrittene Gesetz zu ändern.

Kam Polen den Forderungen nach?

Nur teilweise. Zwar besserten die Nationalkonservativen das Gesetz
zum Verfassungsgericht mehrmals nach, blieben in den entscheidenden
Punkten aber stur: Die PiS beharrt auf der nachträglichen Wahl dreier
Verfassungsrichter, mit denen sie Kandidaten der Vorgängerregierung
austauschte. Das Verfassungsgericht erklärte dies in einem Urteil in
eigener Sache für unrechtmäßig. Dies erkennt die PiS aber nicht an -

ein weiterer Streitpunkt mit Brüssel.

Vor allem der ehemalige Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Andrzej
Rzeplinski, wehrte sich bis zum Ende seiner Amtszeit hartnäckig gegen
die Reformen der PiS. Doch nun sei das Tribunal vollständig in der
Hand der PiS, warnen Verfassungsrechtler. Der neuen Vorsitzenden
Julia Przylebska werfen sie Regierungsnähe vor, zumal sie 2015 mit
Stimmen der Nationalkonservativen in das Gericht gewählt worden war.
Ihre Wahl zur Vorsitzenden sei durch Vorschriften der
Nationalkonservativen begünstigt worden, monieren Juristen. Dies warf
in Brüssel neue Fragen auf.

Lenkt Polen in dem Streit noch ein?

Danach sieht es nicht aus. Schon Ende 2016 erklärte die Warschauer
Regierung den Streit um das Verfassungsgericht nach der Wahl der
neuen Vorsitzenden für erledigt. Nach dem Scheiden Rzeplinskis könne
das Tribunal wieder ungehindert funktionieren, sagt die PiS. Seither
ging sie auf Änderungswünsche aus Brüssel nicht ein. Am Montag
wiederholte das Warschauer Außenministerium, dass die Regierung
keinen Handlungsbedarf sehe. Und es teilte seinerseits gegen
EU-Kommissar Frans Timmermans aus, der Polen auf der Münchner
Sicherheitskonferenz am Wochenende noch einmal kritisiert hatte. Er
solle aufhören mit anderen EU-Mitgliedern gegen Polen eine Front zu
bilden und das Land zu unrecht anzuprangern, hieß es.

Wie wahrscheinlich sind EU-Sanktionen?

Sie wären eine Überraschung. Kommissionsvizepräsident Timmermans
schloss zwar im Dezember ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags
ausdrücklich nicht aus, sollte Warschau die Verfassungsgerichtsreform
nicht korrigieren. In letzter Konsequenz könnte dieses Verfahren zum
Entzug des Stimmrechts Polens in der EU führen. Doch gilt dies als
unwahrscheinlich. Denn selbst wenn die Kommission den Antrag stellt,
müssten die übrigen 27 Mitgliedsstaaten über die nächsten Schritte

abstimmen. Die Feststellung, dass ein ernster und dauerhafter Verstoß
gegen das Rechtsstaatsprinzip vorliegt, müsste im Europäischen Rat
einstimmig fallen - eine hohe Hürde. Insgesamt herrscht bei den
anderen Ländern eine Art Beißhemmung. Angesichts der tiefen Krise der
EU wollen sie nicht noch eine neue Front aufmachen.