Beistand von oben - Die EU kommt zum Papst Von Annette Reuther, dpa

24.03.2017 07:36

Eine göttliche Eingebung kann der EU derzeit nicht schaden. Die
EU-Staats- und Regierungschefs besuchen vor dem Gipfel in Rom den
Papst. Aber der hat auch eine ungemütliche Botschaft für sie.

Rom (dpa) - Normalerweise sind es Fußballmannschaften, die in dieser
Stärke zu Audienzen beim Papst antreten. Am Freitagabend kommen
jedoch keine Sportler, sondern die Staats- und Regierungschefs aus
den nach dem Brexit verbleibenden 27 EU-Ländern zu Besuch. Und wollen
sich vor ihrem EU-Sondergipfel diesen Samstag in Rom bei Franziskus
wohl ein wenig Beistand von oben holen. Den nämlich könnten sie sehr
gut gebrauchen. Schließlich ist viel Einigkeit seit der Gründung der
Union vor 60 Jahren in Rom nicht mehr geblieben: Die EU ist derzeit
alles andere als eine Mannschaft, die an einem Strang zieht. Aller
Wahrscheinlichkeit nach wird Franziskus den Politikern ins Gewissen
reden.

Der Argentinier hat zwar auf Europa nicht unbedingt sein
Hauptaugenmerk gelegt. In seinen vier Amtsjahren hat er lediglich die
EU-Länder Polen, Schweden, Frankreich und Griechenland besucht.
Trotzdem treibt ihn der Kontinent um. Und mit Kritik an der
Staatengemeinschaft hat der 80-Jährige nie gespart. Im November 2014
sprach er vor dem Europarat und Europaparlament in Straßburg von
einem «verkrümmten» und «verängstigten» Europa - und das war no
ch vor
dem Brexit-Votum, das die EU in die schwerste Krise ihrer Existenz
stürzte.

Am Herzen liegt dem Katholiken-Oberhaupt vor allem das Thema, über
das die EU derzeit erbittert streitet: Flüchtlinge. «Man kann nicht
hinnehmen, dass das Mittelmeer zu einem großen Friedhof wird», sagte
Franziskus in Straßburg. Auch bei der Verleihung des Karlspreises -
der für Verdienste um Europa vergeben wird - rief er: «Was ist mit
dir los, humanistisches Europa, du Verfechterin der Menschenrechte,
der Demokratie und der Freiheit?» Europa sei auf dem Weg, sich wegen
des Flüchtlingszustroms zwischen neuen Nationalismen und einem
wiederaufblühenden Populismus zu verlieren. Letzterer bereite ihm
große Sorgen, sagte er vor kurzem in einem «Zeit»-Interview.

Ganz auf einer Linie mit Franziskus sehen sich die Regierungschefs
von Griechenland und Italien, die im Papst einen Unterstützer in der
Flüchtlingsfrage sehen. Ein Zeichen dafür war der Besuch des Pontifex
auf der griechischen Insel Lesbos in einem Flüchtlingslager.

Auf der anderen Seite stehen Länder wie Polen und Ungarn, die mit
Abschottungspolitik von sich reden machen. Immer wieder kritisierte
Franziskus solche «Mauern» - auch beim Besuch im katholischen Polen,
was der nationalkonservativen Regierung von Ministerpräsidentin Beata
Szydlo wenig gefiel.

Europa fehle heute eine Führung, meinte der Papst unlängst. Personen
wie der deutsche Nachkriegskanzler Konrad Adenauer oder der
französische Ex-Außenminister Robert Schuman, die nach dem Krieg
«ehrlich» für den Frieden in Europa gearbeitet hätten. «Europa
braucht Führungspersönlichkeiten, die den Weg nach vorne zeigen»,
mahnte Franziskus.

Wer von den 27 EU-Spitzenpolitikern in der prächtigen Sala Regia im
Vatikan könnte das jetzt sein? Vielleicht fühlt sich Bundeskanzlerin
Angela Merkel angesprochen, die ein gutes Verhältnis zu Franziskus
pflegt und ihn schon mehrmals getroffen hat.

Aber auch dem Papst könnten bald die Rezepte für Europa ausgehen.
Schon vor drei Jahren hatte er den Kontinent in Straßburg als
«Großmutter» bezeichnet, die nicht mehr «fruchtbar» sei. Und seit
her
hat sich die Situation eher noch verschlimmert. Am Samstag wird sich
beim EU-Gipfel in Rom zeigen, ob die Union wieder zu altem
Mannschaftsgeist zurückfindet.