Massive Kritik an Chinas «Einmischung» in Wahl in Hongkong - Hilferuf

24.03.2017 11:11

Knapp 20 Jahre nach der Rückgabe an China warten die Hongkonger
vergeblich auf die Einlösung des Versprechens, dass sie selber ihren
Regierungschef wählen können. Die Enttäuschung wächst.

Hongkong (dpa) - Vor der Auswahl des neuen Regierungschefs in
Hongkong haben Kritiker der kommunistischen Führung in Peking
«unverhohlene Einmischung» vorgeworfen. Die langjährige, frühere
Verwaltungschefin Anson Chan rief am Freitag die alte Kolonialmacht
Großbritannien und andere westliche Länder wie Deutschland auf,
stärker für die Verteidigung freiheitlicher Grundrechte in der
heutigen chinesischen Sonderverwaltungsregion einzutreten.

Zweieinhalb Jahre nach der «Regenschirm-Revolte» für mehr Demokratie

besetzt am Sonntag wieder nur ein Peking-freundliches Wahlkomitee den
Posten des Regierungschefs in der früheren britischen Kronkolonie.
Allen Erwartungen nach wird die bisherige Nummer zwei, Carrie Lam
(59), ausgesucht, weil sie als Wunschkandidatin Pekings gilt. Die
beiden anderen Kandidaten, der beliebtere Ex-Finanzminister John
Tsang (65), der auch den Rückhalt der demokratischen Opposition
genießt, und der Richter Woo Kwok Hing (71), dürften keine Chance
haben.

Kritiker warnen vor neuen Spannungen, nachdem die Demokratiebewegung
schon 2014 Teile der asiatischen Wirtschafts- und Finanzmetropole
lahmgelegt und eine Regierungskrise ausgelöst hatte. Der ungeliebte
bisherige Regierungschef Leung Chun-ying (62) tritt nach einer
Amtszeit auch nicht wieder an. «Unter Carrie Lam wird es definitiv
noch schlimmer», warnte der führende Oppositionspolitiker Alan Leong.
«Das ist nicht nur meine Überzeugung, sondern unser Konsens.»

Die frühere Verwaltungschefin Chan äußerte sich enttäuscht, dass
Peking sein Versprechen nicht einhält, die sieben Millionen
Hongkonger selber wählen zu lassen. Die 77-jährige «Eiserne Lady
Hongkongs» hatte sowohl dem letzten britischen Gouverneur als auch
nach 1997 dem ersten Regierungschef unter Chinas Souveränität
gedient. Chan warnte vor wachsendem Druck Chinas, der freiheitliche
Grundwerte und die Unabhängigkeit der Justiz in Hongkong unterhöhle.


Aus Rücksicht auf seine Wirtschaftsinteressen in China schweige heute
aber selbst Großbritannien. «Sie haben eine moralische und rechtliche
Verpflichtung, «Ein Land, zwei Systeme» zu verteidigen», sagte Chan
zu dem Grundsatz in der verbindlichen Gemeinsamen Erklärung für die
Rückgabe, wonach Hongkong ein hohes Maß an Autonomie genießt. «Sie

scheinen vergessen zu haben, dass es keine chinesische Erklärung ist,
sondern von Großbritannien und China gemeinsam unterzeichnet wurde.»

Auch die Deutschen und andere Europäer müssten gegenüber Peking für

freiheitliche Rechte in Hongkong und China eintreten. «Sonst finden
sie eines Tages heraus, dass ihre Grundwerte durch chinesische
ersetzt werden», warnte Chan. «Wer ihnen erlaubt, mit ihrem Mobbing
davonzukommen, erntet nicht den Respekt der chinesischen Führung.»

Die Wahl findet unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt, da
Proteste erwartet werden. Der junge Aktivist Joshua Wong kündigte
«zivilen Ungehorsam» an. «Straßenaktionen sind weiter einer der
wichtigsten Faktoren, um in Hongkong Demokratie zu erreichen», sagte
der 20-jährige Studentenführer. «Wir glauben an die Macht des
Volkes.» Sie seien «auf einen langen Kampf» vorbereitet.

In einer halbseitigen Zeitungsanzeige versprach Lam, als
Regierungschefin die Spaltung in der Gesellschaft überwinden zu
wollen. Hongkong stehe am Scheideweg. «Es ist entscheidend und
drängend, dass wir unsere Differenzen beiseitelassen und wieder
zusammenkommen - für die Stadt, die wir lieben.»