Streit ums türkische Referendum: Angriffe statt Tauwetter Von Can Merey, dpa

19.04.2017 17:36

Die EU fordert von Ankara, Manipulationsvorwürfe beim Referendum
aufzuklären. Die OSZE-Wahlbeobachter sehen dafür keinerlei
Bereitschaft bei der türkischen Regierung. Kaum verwunderlich, denn
die Regierung schäumt: Sie verbittet sich Belehrungen Europas.

Istanbul (dpa) - Die Pressekonferenz des türkischen Außenministers
Mevlüt Cavusoglu ist eigentlich zum Treffen mit seinem Kollegen
Miguel Vargas aus der Dominikanischen Republik angekündigt. Im
Zentrum stehen am Mittwoch allerdings nicht die bilateralen
Beziehungen zu dem Karibikstaat, auch Vargas spielt eine Nebenrolle.
Thema sind die Manipulationsvorwürfe beim türkischen Referendum vom
Sonntag, und Cavusoglu redet sich in Rage. Die internationalen
Wahlbeobachter geht der Minister frontal an, Europa auch, selbst
einen Nazi-Vergleich gibt es erstmals seit dem Referendum wieder.

Wer gehofft hatte, dass in den frostigen Beziehungen zwischen Europa
und der Türkei nach dem Referendum Tauwetter anbricht, sieht sich
getäuscht. Die EU-Kommission hatte nach der Abstimmung denkbar kühl
mitgeteilt: «Wir nehmen die berichteten Ergebnisse zur Kenntnis.» Dem

noch vor Ende der Auszählung von Staatschef Recep Tayyip Erdogan
reklamierten Sieg verlieh die EU damit nicht die Legitimität, die
sich Ankara wünschen würde - und an der viele jener Türken zweifeln,

die gegen Erdogans Präsidialsystem gestimmt haben.

Die von den Wahlbeobachtern der Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarates attestierten
Mängel beim Referendum sind so gravierend, dass eine Aufklärung
womöglich zu einer Umkehr des knappen Ergebnisses führen könnte - das

hoffte zumindest die Opposition. Im Zentrum der Kritik steht die
während der laufenden Abstimmung getroffene Entscheidung der
Wahlkommission, auch von ihr nicht gestempelte Stimmzettel als gültig
zu werten. Der Chef der OSZE-Wahlbeobachter, Michael Georg Link,
sieht darin «einen Verstoß gegen türkisches Recht».

Cavusoglu sagt am Mittwoch, diese Entscheidung sei mit Unterstützung
auch der Oppositionsvertreter in der Wahlkommission getroffen worden,
was von denen aber dementiert wird. Die größte Oppositionspartei CHP
beantragte am Dienstag eine Annullierung des Referendums.
Erwartungsgemäß schmettert die Wahlkommission - deren Beschlüsse
grundsätzlich nicht vor Gericht angefochten werden können - den
Antrag schon am Mittwoch ab. Der CHP-Abgeordnete Bülent Tezcan
spricht danach von «organisiertem Stimmenraub». Wie unabhängig die
Kommission ist, ist umstritten. Ein Richter, der anonym bleiben will,
sagt, diese Unabhängigkeit bestehe vor allem «auf dem Papier».

Erdogan hatte noch am Abend des Referendums eine alte türkische
Redewendung bemüht: «Der, der das Pferd nahm, hat Üsküdar passiert
» -
eine poetische Variante von «Der Zug ist abgefahren», und zwar für
die Opposition. Entsprechend wenig Aufklärungswillen macht die OSZE
in Ankara aus. «Von einer Kooperation kann leider keine Rede sein»,
sagt Link. Dass der Leiter der Wahlkommission, Sadi Güven,
Manipulationsvorwürfe schon kurz nach der Abstimmung strikt
zurückgewiesen habe, spreche «eine eindeutige Sprache».

Die türkische Regierung reagiert auf die Vorwürfe, wie es Europa seit
Monaten gewöhnt ist: Mit Angriff. «Ihr könnt nicht in die Türkei

kommen und Euch in ihre Politik einmischen», wettert Cavusoglu gegen
die Wahlbeobachter, die auf Einladung seines Ministeriums im Land
waren. Der Minister bemängelt, dass die OSZE der Türkei bei Berichten
über vergangene Wahlen stets attestiert habe, dass diese «vollkommen
demokratisch und transparent» verlaufen seien. «Warum versucht Du
jetzt plötzlich, Negatives zu schreiben?»

Dass diese Abstimmung womöglich nicht vollkommen demokratisch und
transparent verlaufen sein könnte, ist aus Sicht Cavusoglus
jedenfalls nicht der Grund. Er wirft den Wahlbeobachtern stattdessen
vor, voreingenommen gewesen zu sein - und vorsätzlich einen
fehlerhaften Bericht abgeliefert zu haben. Auch die EU bekommt ihr
Fett weg: Sie habe nicht das Recht, «eine Ermittlung einzuleiten».
Das hat die EU so allerdings nie gefordert: Sie hat die türkischen
Behörden aufgerufen, die Vorwürfe transparent zu untersuchen.

Unschärfen gibt es auch bei Cavusoglus Attacken gegen den
niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders, der nach dem
Referendum die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft gefordert
hat - und zwar allen voran bei Türken. Cavusoglu interpretiert das
so: «Also die, die beim Referendum in der Türkei «Ja» gesagt habe
n,
sollen nicht leben, sie sollen ausgebürgert werden, sie sollen
ermordet werden. Eine eindeutige Nazi-Auffassung.»

Und nicht nur in den Niederlanden macht Cavusoglu eine ungute
Entwicklung aus. «Leider steuern viele Politiker in Europa und Kreise
in manchen Ländern langsam auf Zeiten vor dem Zweiten Weltkrieg zu»,
sagt er. Der Minister verbittet sich daher Versuche Europas, «andere
über Demokratie zu belehren». Und er verbittet sich «von Unwissen
strotzende» Kommentare, wonach das Präsidialsystem Erdogan mehr Macht
verleihe. Auch das, so sagt Cavusoglu, sei nur ein «Vorurteil».