Mission Schadensbegrenzung: Wie die EU die Brexit-Gespräche angeht Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa

25.04.2017 05:00

Vor den Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens wähnt sich
die EU in einer starken Position. Inzwischen stehen knallharte
Forderungskataloge.

Brüssel (dpa) - Zuerst schien die Europäische Union wie erstarrt,
überrumpelt und tief gekränkt vom Liebesentzug der Briten. Es folgten
Trauer und Trotz, Selbstzweifel und Streit. Jetzt aber scheint die
Rest-EU der 27 gefasst und bereit für die Verhandlungen über den
Brexit. Kühl, präzise und stählern haben sie ihre Ziele formuliert.
EU-Ratspräsident Donald Tusk hat das Motto vorgegeben: «Im Kern geht
es um Schadensbegrenzung.»

Dieser Linie folgen die am Montag von Experten der 27 bleibenden
Staaten vereinbarten Verhandlungsleitlinien, die Bundeskanzlerin
Angela Merkel und ihre EU-Kollegen bei einem Sondergipfel am Samstag
billigen sollen. Sie liegen der Deutschen Presse-Agentur vor, ebenso
wie ein Arbeitspapier des EU-Chefunterhändlers Michel Barnier.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dürfte sie im Gepäck
haben, wenn er am Mittwoch zu Premierministerin Theresa May nach
London reist. Etwas Reisediplomatie ist sicher angebracht. Denn
einige Punkte stoßen die Briten vor den Kopf.

Einer davon ist die geforderte Abfolge der Verhandlungen. Anders als
May fordert die EU zwei getrennte Phasen: Zuerst soll die Trennung
geklärt werden, danach die künftigen Beziehungen. Damit will die EU
einen Hebel haben für eine gütliche Einigung über zwei zentrale
Punkte: «Klarheit und Rechtssicherheit für Bürger, Unternehmen,
Betroffene und internationale Partner» sowie die Schlussrechnung des
Vereinigten Königreichs nach mehr als 40 Jahren Mitgliedschaft, die
auf bis zu 60 Milliarden Euro geschätzt wird.

Wie kompliziert beide Punkte werden können, zeigt Barniers
Arbeitspapier. Welche Rechte sollen die Millionen EU-Bürger in
Großbritannien und die Briten in der EU nach dem Brexit behalten? Die
EU macht eine lange Liste auf. Aufenthalt, Wohnrecht, Zugang zum
Arbeitsmarkt, Sozialbezüge, Steuervorteile, Ausbildung, das Recht auf
selbstständige Tätigkeit, die weitere gegenseitige Anerkennung
bereits vorhandener Studienabschlüsse.

Wer fünf Jahre in Großbritannien gelebt hat, soll ein dauerhaftes
Aufenthaltsrecht bekommen. Und dieses sollte «in einem einfachen und
raschen Verfahren vergeben werden, das entweder keine Gebühren kostet
oder nur so viel, wie auch Einheimischen für ähnliche Papiere
abverlangt werden». Dahinter stehen Horrorgeschichten von EU-Bürgern
in Großbritannien, die sich mit 85-seitigen Anträgen auf Bleiberecht
herumplagen. Darüber hinaus will die EU einen Familiennachzug «zu
jedem Zeitpunkt vor oder nach dem Austrittsdatum». Das heißt, es
könnten noch Tausende aus der EU kommen und ein Bleiberecht
beanspruchen, vielleicht Zehntausende.

Bei der Schlussabrechnung - für May politisch ein heißes Eisen, weil
der Brexit ja Geld sparen soll - gibt sich die EU ähnlich rigoros.
«Es sollte eine einzige finanzielle Vereinbarung mit Blick auf den
Haushalt der Union und auf die Beendigung der Mitgliedschaft des
Vereinigten Königreichs in allen Institutionen und Organisationen
unter dem Dach der EU-Verträge geben», heißt es im Barnier-Papier.

Gemeint sind unter anderem die Europäische Zentralbank, die
Europäische Investitionsbank, der Europäische Entwicklungsfonds und
der Geldtopf zur Unterstützung von Flüchtlingen in der Türkei.
Geklärt werden müssten Schulden, Folgekosten,
Haushaltsverpflichtungen und «alle anderen Pflichten». Zudem soll
Großbritannien die Kosten für den Umzug der EU-Einrichtungen im
Königreich berappen. Und alle Rechnungen sind bitteschön in Euro zu
begleichen.

Das sind zunächst einmal nicht mehr als Forderungen, die Gespräche
beginnen ernsthaft erst nach der britischen Parlamentswahl am 8.
Juni. Es ist das Wünsch-dir-was einer der beiden Seiten und somit
auch Verhandlungsmasse. Die EU wähnt sich aber in einer starken
Position.

Sie allein will entscheiden, wann Phase zwei beginnt und über das
gesprochen wird, was May besonders wichtig ist: das gewünschte
Freihandelsabkommen mit der EU. «Der Europäische Rat wird die
Fortschritte genau beobachten und feststellen, wann ausreichender
Fortschritt erzielt wurde, um den Eintritt der Verhandlungen in die
nächste Phase zu erlauben», heißt es in den Leitlinien.

Dahinter steckt das Kalkül, dass London einen EU-Austritt ohne
Anschlussregelung unbedingt vermeiden will - weil er wirtschaftlich
ein Desaster wäre und zwar mehr noch für Großbritannien als für die

EU, davon ist man in Brüssel überzeugt. Wie sagte doch
EU-Ratspräsident Tusk, nachdem May Ende März den Austrittsantrag
gestellt hatte? «Die EU wird nicht auf Bestrafung abzielen. Der
Brexit selbst ist Strafe genug.»