EU sieht keine Lösung im Flüchtlingsstreit

23.06.2017 12:17

An Tag zwei des Brüsseler EU-Gipfels geht es um Wirtschaft und Handel
- aber eben auch um einen alten Dauerstreit, der die Partner
inzwischen ziemlich entnervt.

Brüssel (dpa) - Nach einem ersten Gipfeltag mit zur Schau gestellter
Eintracht sind die EU-Staats- und Regierungschefs am Freitag in
Brüssel in eine neue Runde des Dauerstreits über die
Flüchtlingspolitik gegangen. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker
äußerte sich vorab sehr pessimistisch über die Aussicht auf eine
Lösung. Freuen konnten sich die EU-Staaten aber über gute
Wirtschaftszahlen, die EZB-Chef Mario Draghi beim Gipfel erläutern
wollte.

Zum Gipfelauftakt hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre
Kollegen am Donnerstag die gemeinsame Verteidigungspolitik
vorangetrieben und die Verlängerung der EU-Sanktionen gegen Russland
gebilligt. Zudem stellten sich die 28 Länder demonstrativ hinter das
von US-Präsident Donald Trump aufgekündigte Pariser Klimaabkommen.

Die britische Premierministerin Theresa May, die Ende März den
Austritt aus der Gemeinschaft beantragt hatte, machte den 3,2
Millionen EU-Bürgern in ihrem Land ein weitreichendes Angebot für
Bleiberechte.

Das bekräftigte May am Freitagmorgen auch noch einmal öffentlich.
«Wir wollen allen EU-Bürgern Gewissheit geben, die sich zu einem
Leben in Großbritannien entschlossen haben», sagte May. Keiner müsse

das Land verlassen. Das sei ein «sehr faires und ernsthaftes
Angebot». Sie wünsche sich, dass die Partner gleiche Zusagen auch an
die Briten in der EU gäben.

Die EU-Seite reagierte vorerst zurückhaltend, weil sie Einzelheiten
des Brexits nur in den dafür vorgesehenen Runden der Unterhändler
besprechen will. Bundeskanzlerin Merkel sprach immerhin von einem
«guten Anfang». Ähnlich äußerte sich der österreichische Kanzle
r
Christian Kern, der sagte, «das löst sicherlich noch nicht alle
Probleme». EU-Kommissionspräsident Juncker sagte: «Das ist ein
Schritt, aber dieser Schritt reicht nicht aus.» Man wisse immer noch
nicht, was London in den Brexit-Verhandlungen genau erreichen wolle.

Weit kritischer noch äußerte sich der Kommissionschef aber über den
anhaltenden EU-internen Streit über die Umverteilung von
Flüchtlingen, die Länder wie Polen, Ungarn und Tschechien weiter
nicht akzeptieren. Er mache sich nicht «allzu große Hoffnungen» auf
ein Einlenken, sagte Juncker. Man werde aber nicht aufgeben: «160 000
Leute in Europa umzuverteilen, das ist 0,035 Prozent der
Gesamtbevölkerung Europas. Das muss Europa schaffen.»

Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte sich zuletzt sehr
kritisch über die Haltung einiger osteuropäischer Länder geäußert
und
dafür von dort empörte Reaktionen geerntet. Am Freitagmorgen kam
Macron direkt mit den Regierungschefs aus Polen, Ungarn, Tschechien
und der Slowakei zusammen, um sich mit ihnen über die aktuellen
Gipfelthemen auszusprechen, darunter auch Migration.

Im Mittelpunkt standen dabei aber wohl eher wirtschaftliche Fragen.
«Wir haben über die Notwendigkeit gesprochen, das Lebensniveau und
die Löhne im Westen und Osten der EU anzugleichen», schrieb der
tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka auf Twitter. Ein
Thema sei die EU-Entsenderichtlinie für Arbeitnehmer, die Macron
verändern will, um Sozialdumping zu verhindern. Sobotka pocht auf die
Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU.