Deutschland macht Druck für Ende der EU-Verhandlungen mit der Türkei

07.10.2017 16:28

Seit der Verhaftung Deutscher in der Türkei herrscht Eiszeit zwischen
Berlin und Ankara. So hätten auch EU-Beitrittsverhandlungen mit der
Türkei keinen Sinn, findet Berlin. Doch ist die Zeit reif für einen
Bruch?

Brüssel/Berlin (dpa) - Trotz versöhnlicher Signale aus der Türkei
versucht Deutschland weiter, die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara
auszubremsen. Beim EU-Gipfel Ende Oktober soll die EU-Kommission auf
Wunsch Deutschlands und anderer Länder offiziell bewerten, ob die
Türkei die Kriterien für Beitrittskandidaten erfüllt, wie
EU-Diplomaten am Samstag bestätigten. Es wird erwartet, dass der
Bericht negativ ausfällt. Damit wüchse der Druck, die derzeit
ruhenden Verhandlungen mit der Türkei zu beenden.

Den Abbruch hatten SPD-Kandidat Martin Schulz und dann auch
Bundeskanzlerin Angela Merkel überraschend im Bundestagswahlkampf
gefordert. Deutschland wirft der türkischen Führung unter Präsident
Recep Tayyip Erdogan unter anderem willkürliche Verhaftungen
deutscher Staatsbürger und andere Rechtsstaatsverstöße vor. Aus
Ankara kam immer wieder scharfe Kritik.

Nun aber warb der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu für eine

Normalisierung der Beziehungen. «Es gibt keinen Grund für Probleme
zwischen Deutschland und der Türkei», sagte er dem «Spiegel»
(Samstag). «Wenn Ihr einen Schritt auf uns zugeht, gehen wir zwei auf
Euch zu.» Zugleich verteidigte Cavusoglu Erdogans kontroverse
Nazi-Vergleiche als «Antwort auf die Feindseligkeiten» aus
Deutschland.

Im Fall des inhaftierten «Welt»-Korrespondenten Deniz Yücel verwies
Cavusoglu auf die Unabhängigkeit der Justiz. Im Fall des deutschen
Menschenrechtlers Peter Steudtner, der ebenfalls in der Türkei
inhaftiert ist, habe er sich jedoch für eine Beschleunigung des
Verfahrens eingesetzt, sagte Cavusoglu.

Auf seine Äußerungen reagierte das Auswärtige Amt zurückhaltend.
«Deutschland war, ist und bleibt gesprächsbereit und
dialogorientiert», sagte Staatsminister Michael Roth der «Welt am
Sonntag». «Aber wir können eben auch nicht schweigen, wenn deutsche
Staatsangehörige wie beispielsweise Deniz Yücel unschuldig inhaftiert
sind. Wir müssen hier endlich zu Lösungen kommen.» Grünen-Chef Cem

Özdmir erklärte auf Twitter: «Wie wäre es, wenn die #Türkei den
wichtigen Schritt auf #Deutschland zugeht und inhaftierte deutsche
Staatsbürger*innen freilässt?»

Auf EU-Ebene bleibt Bundeskanzlerin Merkel bei dem schon vor Wochen
angekündigten Plan, am 19. und 20. Oktober beim Brüsseler Gipfel mit
den übrigen Staats- und Regierungschefs über den Abbruch der
Beitrittsverhandlungen zu beraten. Noch Anfang September war
Deutschland im Kreis der EU-Außenminister mit dem Ansinnen
abgeblitzt.

Auch die EU-Kommission ist skeptisch. Nach «Spiegel»-Informationen
will sie ihren sogenannten Fortschrittsbericht zur Türkei erst im
Frühjahr vorlegen und stattdessen nur erklären, wie
«Vorbeitrittshilfen» für die Türkei reduziert werden könnten. Das

Geld fließt ohnehin nur spärlich: Von den zwischen 2014 und 2020
zugesagten 4,5 Milliarden Euro wurden bislang nur 250 Millionen
ausgezahlt.

Nach den von der EU vorgegebenen «Kopenhagener Kriterien» sind
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Wahrung der Menschen- und
Minderheitenrechte Voraussetzung für eine Mitgliedschaft. Schon seit
Monaten wird gemutmaßt, dass die EU die Verhandlungen nach diesen
Maßstäben eigentlich stoppen müsste, wenn eine offizielle Bewertung
der Kommission vorläge.