Merkel will weitere Milliarden für Flüchtlinge in der Türkei

19.10.2017 22:59

In der Flüchtlingspolitik setzt die Europäische Union auf eine harte
Linie: Die Routen übers Mittelmeer sollen dicht gemacht werden. Dazu
braucht man Libyen - und den Partner Türkei.

Brüssel (dpa) - Trotz des bitteren Streits mit der Türkei hat sich
Bundeskanzlerin Angela Merkel klar zum Flüchtlingspakt mit Ankara
bekannt und will dafür auch weitere EU-Milliarden ins Land fließen
lassen. «Hier leistet die Türkei Herausragendes», sagte die
CDU-Chefin am Donnerstag beim EU-Gipfel in Brüssel. Nach der Route
zwischen der Türkei und Griechenland will die EU nun auch den
Flüchtlingsweg von Afrika nach Italien abschotten und dabei eng mit
Libyen zusammenarbeiten.

Die Türkeipolitik wurde am Donnerstagabend auf Merkels Wunsch in der
Runde der 28 Staats- und Regierungschefs besprochen. Schon bei der
Ankunft in Brüssel erinnerte die Kanzlerin an die Verhaftung mehrerer
Deutscher in der Türkei und nannte die demokratische Entwicklung des
Landes sehr negativ. «Wir haben hier sehr große Sorgen», sagte sie.


Doch gibt es im Kreis der EU-Länder kaum Unterstützung für einen
Bruch, auch weil der Flüchtlingspakt mit Ankara nicht gefährdet
werden soll. Dieser hat seit Anfang 2016 dazu geführt, dass viel
weniger Menschen aus der Türkei nach Griechenland kommen.

Merkel akzeptiert zwar, dass weiter Geld zur Versorgung von
Flüchtlingen in die Türkei fließt - drei Milliarden Euro sind schon
verplant, drei weitere sollen folgen. Doch strebt die Kanzlerin nun
zumindest eine Kürzung jener Zahlungen an, die die Türkei für eine
etwaige EU-Mitgliedschaft fit machen sollen. Diese Vorbeitrittshilfen
sind auf 4,45 Milliarden Euro bis 2020 veranschlagt; 368 Millionen
davon sind bisher vertraglich gebunden.

Erste Beschlüsse beim Gipfel drehten sich aber um andere Themen. So
warnten die Staats- und Regierungschefs die USA vor einem Ausstieg
aus dem Atomabkommen mit dem Iran, das Präsident Donald Trump zuletzt
in Frage gestellt hatte. Die EU machte auch deutlich, dass sie Trumps
Drohung mit einer militärischen Lösung des Nordkorea-Konflikts nicht
für den richtigen Weg hält. Sie droht Nordkorea eine weitere
Verschärfung von Sanktionen an.

Zur Flüchtlingspolitik sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk, man wolle
Italien und dessen Zusammenarbeit mit den libyschen Behörden
unterstützen: «Wir haben eine echte Chance, die Route über das
zentrale Mittelmeer zu schließen.»

Gleichzeitig wolle man den EU-Fonds zur Bekämpfung von Fluchtursachen
in Afrika auffüllen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
erklärte, die Mitgliedstaaten hätten erst 175 Millionen Euro für den

Fonds zugesagt: «Das ist ganz klar nicht genug.» Die EU-Staats- und
Regierungschefs wollen nach Tusks Worten auch einen neuen Anlauf zur
Reform des höchst umstrittenen EU-Asylsystems starten und dies
möglichst bis Mitte 2018 abschließen.

Der Gipfel bestätigte auch den Start einer engeren Zusammenarbeit bei
der Verteidigung zum Jahresende und bekannte sich zu einer raschen
Digitalisierung Europas.

Der für 2019 geplante EU-Austritt Großbritanniens steht erst für
Freitag auf der Tagesordnung. Premierministerin Theresa May mahnte
erneut Tempo bei den bisher schleppenden Brexit-Verhandlungen mit der
EU an. Sie hoffe auf «ambitionierte Pläne» für die kommenden Wochen
,
sagte sie zu Beginn des Gipfels in Brüssel und warb später beim
Arbendessen der Staats- und Regierungschefs für ihre Position.

Großbritannien will so schnell wie möglich über ein Handelsabkommen
mit der EU für die Zeit nach dem Austritt sprechen. Brüssel blockt
das bisher ab und will vorher Zusagen aus London, vor allem bei
finanziellen Verpflichtungen. Merkel sagte, bei den Gesprächen gebe
es ermutigende Fortschritte, die allerdings noch nicht ausreichten.
Sie geht aber davon aus, dass die nächste Verhandlungsphase beim
EU-Gipfel im Dezember eingeläutet werden kann.

Auch die Debatte über Reformen der EU - vorangetrieben vor allem von
Frankreich - am Freitag Thema sein. Ratspräsident Tusk hatte am
Dienstag einen Fahrplan für Entscheidungen bis Mitte 2019 vorgelegt.
Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte, er freue sich auf
die Diskussion mit Tusk über eine entschlossene Agenda für die
Zukunft Europas «auf der Grundlage von Initiativen, die wir
angestoßen haben».