Autonomiebestrebungen in EU-Staaten Von Annette Reuther, dpa

22.10.2017 15:49

Sie wollen ganz weg von der Zentralregierung oder einfach mehr
Autonomie. Unabhängigkeits- oder Autonomiebestrebungen gibt es in
Europa nicht nur in Katalonien. Aber nicht überall geht es so heiß zu
wie derzeit in Spanien.

Berlin/Rom (dpa) - Erst die Schotten, dann die Katalanen und dann die
Norditaliener? In ganz Europa gibt es Regionen, die entweder ganz weg
vom Zentralstaat oder mehr Autonomie wollen. Ein Überblick: 

ITALIEN: Nach Meinung der reichen Regionen VENETIEN und LOMBARDEI in
Norditalien verschlingt die Zentralregierung in Rom viel zu viel
Geld. Sie wollen daher, dass die erwirtschafteten Steuern auch in
ihrer Region bleiben. Daher durften am Sonntag rund zehn Millionen
Menschen in Referenden darüber abstimmen, ob ihre Regionen mehr
Kompetenzen und Autonomie bekommen. Mit Katalonien ist das nicht
vergleichbar, weil die Lombardei und Venetien sich nicht von Italien
abspalten wollen.

Autonomiebestrebungen haben in ganz Italien lange Tradition. In
SARDINIEN fühlen Separatisten durch Katalonien Rückenwind. Der
Vorsitzende der Autonomiebewegung Unidos, Mauro Pili, hat im
Parlament in Rom sogar einen Gesetzentwurf für ein
Unabhängigkeitsreferendum eingebracht. Die
italienisch-österreichische Grenzregion SÜDTIROL genießt besondere
Sonderrechte, vor allem in Finanzfragen. Die Idee einer Abspaltung
hält Landeshauptmann Arno Kompatscher derzeit für nicht
mehrheitsfähig.

SPANIEN: Dort gibt es nicht nur die Katalanen. Schon im Mittelalter
haben die Basken von der spanischen Krone weitgehende Autonomie
erhalten. Fast 50 Jahre lang kämpfte die Untergrundorganisation ETA
für einen von Spanien unabhängigen Staat. Bei Anschlägen kamen
Hunderte Menschen um Leben. Erst 2011 erklärte die ETA den Verzicht
auf Gewalt. Im April 2017 gab sie ihre letzten Waffen ab. Die
regierende baskisch-nationalistische Partei PNV strebt wie die
Regionalregierung in Katalonien einen unabhängigen Staat an, will
aber nicht so radikal wie Barcelona vorgehen, sondern «den Weg
Schottlands beschreiten».

GROSSBRITANNIEN: Die Nationalpartei (SNP) der schottischen
Regierungschefin Nicola Sturgeon hat das Thema Unabhängigkeit
SCHOTTLANDS nach der Wahlschlappe im Juni zurückgestellt, aber nicht
aufgegeben. Auf ein Datum will sich Sturgeon erst festlegen, wenn
mehr Klarheit über das Verhältnis zwischen EU und Großbritannien nach

dem Brexit herrscht. 2014 hatten die Schotten sich in einem von
London akzeptierten Referendum gegen eine Unabhängigkeit entschieden.
Bei der letzten britischen Parlamentswahl verlor die SNP mit der
Forderung nach einem - von London abgelehnten - zweiten Referendum 21
ihrer 56 Sitze im britischen Unterhaus. Einseitige Schritte wie
Barcelona erwägt Sturgeon nicht. In NORDIRLAND wittert die
pro-irische Sinn Fein im britischen EU-Austritt perspektivisch eine
Chance, sich von London loszusagen - und Irland anzuschließen.

FRANKREICH - KORSIKA: Seit Jahrzehnten streben viele Korsen nach mehr
Eigenständigkeit von Frankreich; Separatisten verübten Anschläge au
f
Behördengebäude oder Ferienhäuser von Festlandfranzosen. 2014 legte
die Korsische Nationale Befreiungsfront FLNC allerdings die Waffen
nieder. Zugleich gewannen nationalistische Kräfte Bedeutung und bei
der Wahl im Juni eroberten Nationalisten drei der vier korsischen
Sitze in der Pariser Nationalversammlung. Der Chef der
Inselregierung, der Nationalist Gilles Simeoni, erklärt: «Unser Ziel

ist nicht die Unabhängigkeit, sondern ein Autonomiestatus.» Die
FLNC-Abspaltung FLNC vom 22. Oktober will aber einen «Volkselan» wie
in Katalonien oder Schottland entfachen, falls Frankreich nach der
Neuwahl des Inselparlaments im Dezember keine Zugeständnisse macht.

BELGIEN - FLANDERN: Die flämischen Nationalisten streben ein «völli
g
unabhängiges Flandern» als Fernziel an. Migrationsminister Theo
Francken von der nationalistischen N-VA, die seit 2014 in der
belgischen Föderalregierung sitzt, lobt die Katalanen und erklärt:
«Die N-VA will keine Revolution und beabsichtigt keine Abspaltung.»
Sie will, dass die belgische Regierung schrittweise Kompetenzen an
die Regionalregierungen und an Europa überträgt und sich somit
überflüssig macht.