Was bringt der EU-Sozialgipfel? Drei Fragen an DGB-Chef Hoffmann Interview: Verena Schmitt-Roschmann

17.11.2017 03:40

Beim EU-Sozialgipfel am Freitag in Göteborg soll es um neue Jobs in
Europa gehen, um bessere Arbeitsbedingungen und soziale
Mindeststandards. Ein Traum für Gewerkschafter? Drei Fragen an den
Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Reiner Hoffmann.

Berlin/Göteborg (dpa) - Vor dem Sozialgipfel in Göteborg hat DGB-Chef
Reiner Hoffmann die Bundesregierung aufgefordert, sich stärker für
Arbeitnehmerrechte und einheitliche soziale Standards in Europa
einzusetzen. Der «besinnungslose Sparkurs» in vielen EU-Ländern müs
se
ein Ende finden, betonte Hoffmann im Interview der Deutschen
Presse-Agentur.

Frage: Was kann dieser Sozialgipfel überhaupt ausrichten und was
haben Arbeitnehmer in Deutschland von der «Säule Sozialer Rechte»?

Mit dem Gipfel steht die soziale Dimension der Europäischen Union
endlich wieder auf der Tagesordnung. Das begrüßen wir. Die
Proklamation der Säule sozialer Rechte kann aber nur der Startpunkt
sein - sie selbst ist noch viel zu unkonkret und nicht
rechtsverbindlich. So nützt sie weder dem deutschen, noch einem
anderen europäischen Beschäftigten. Die Säule muss finanziell
ausgestattet werden, Details müssen konkretisiert werden und sie muss
rechtsverbindlich werden. Das Ziel muss sein, dass Menschen im Alltag
erfahren, dass nicht nur die Freizügigkeit, sondern auch das
Wohlfahrtsversprechen der EU praktische Auswirkungen hat.

Frage: Bedeutet soziale Angleichung in Europa nicht letztlich eine
Abwärtsspirale?

Antwort: Es darf keine Angleichung nach unten geben, sondern es muss
eine nach oben werden. Der Wettbewerb nach unten ist ökonomisch
kurzsichtig und sozial unverantwortlich. Deutschland steht
international nicht trotz seines Sozialstaates, sondern auch wegen
seines Sozialstaates so gut da. Die Säule muss mit einem klaren
sozialpolitischen Aktionsprogramm unterfüttert werden. Die Europäer
müssen merken, dass dadurch die Löhne wieder steigen, Tarifbindung
wächst und Sozialsysteme wieder Sicherheit bieten. Deutschland sollte
seinen Einfluss als stärkste Wirtschaftskraft nutzen, um bei der EU
einen Kurswechsel vom einseitigen Sparkurs zulasten der Beschäftigten
hin zu einem sozial starken Europa zu erreichen.

Frage: Lässt sich das Gefälle bei Einkommen und Sozialstandards in
der EU überhaupt korrigieren?

Antwort: Das Gefälle ist auch durch eine falsche Politik der EU
entstanden. Mit dem besinnungslosen Sparkurs sind in vielen Ländern
Löhne, Tarifbindung, Kündigungsschutz und die sozialen
Sicherungssysteme unter Druck geraten und Arbeitnehmerrechte
geschliffen worden. Damit muss Schluss sein. Für deutsche Unternehmen
sollte es von hohem Interesse sein, dass das EU-interne Lohndumping
endlich beendet wird. Nur ein Europa, das sozial investiert in die
Bevölkerung und deren Rechte verteidigt und modernisiert, wird das
Vertrauen wiedergewinnen, das der Kontinent braucht, um im
internationalen Wettbewerb wirklich zu bestehen.

Zur Person: Reiner Hoffmann (62) ist seit 2014 Vorsitzender des
Deutschen Gewerkschaftsbundes. Mit der Europäischen Union ist er
bestens vertraut: Von 1994 bis 2003 war er Direktor des Europäischen
Gewerkschaftsinstituts in Brüssel.