Merkel bei EU-Afrika-Gipfel - Mehr Perspektiven, weniger Migration? Von Ansgar Haase, Jürgen Bätz und Jörg Blank, dpa

29.11.2017 05:15

Die Europäer haben Angst vor einer neuen Flüchtlingskrise. Und sie
wollen das Sterben auf dem Mittelmeer beenden. Ein Gipfel mit Afrika
soll die Perspektiven in den Herkunftsländern verbessern. Klappt das?

Abidjan (dpa) - Kanzlerin Angela Merkel und Staats- und
Regierungschefs aus Dutzenden anderen Staaten suchen am Mittwoch nach
Wegen für bessere Lebensperspektiven der Jugend in Afrika. Beim
EU-Afrika-Gipfel in der Wirtschaftsmetropole des westafrikanischen
Landes Elfenbeinküste wird über eine verstärkte Zusammenarbeit der
Kontinente beraten. Deutschland und die anderen EU-Staaten erhoffen
sich auch einen Rückgang der Migration über das Mittelmeer.

Die Interessen sind äußerst unterschiedlich. Ein Überblick:

DEUTSCHLAND UND DIE EUROPÄISCHE UNION: Kanzlerin Angela Merkel und
die anderen Staats- und Regierungschefs der EU wollen sich für
bessere Bildungschancen für junge Menschen in Afrika einsetzen und
mehr Jugendaustausch ermöglichen. Wenn Europa seine Außengrenzen
schütze und Schleppern das Handwerk lege, heiße das nicht, dass
legaler Austausch nicht gefördert werde, sagt Merkel. Möglich sein
sollen Hilfen bei der Berufsausbildung und eine Unterstützung für
Universitäten, auch durch Studienmöglichkeiten. Voraussetzung dafür
sind Erfolge im Kampf gegen Korruption und die Einhaltung von
Menschenrechten. Um mehr private Investitionen anzukurbeln, dürfte
Berlin auch den EU-Afrika-Fonds nochmals aufstocken.

Durch bessere Lebensbedingungen in den Herkunftsländern erhofft sich
die EU, dass der Migrationsdruck auf Deutschland und Europa aus
Afrika abnimmt. Die Kooperation mit Transitländern wie Libyen, von wo
aus die meisten Menschen zum gefährlichen Weg über das Mittelmeer
nach Europa starten, spielt aber ebenfalls eine Rolle, ebenso wie
eine bessere Kooperation der Herkunftsländer bei der Rückführung von

abgelehnten Asylbewerbern und Wirtschaftsflüchtlingen.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker rief zum Gipfel dazu auf,
bei den Hilfen für Afrika nicht zu knausern. «Jeder Euro ist eine
Investition in unser aller Zukunft, in Chancen für junge Menschen, in
Ernährungssicherheit und ein besseres Grenzmanagement», sagte der
Luxemburger der «Welt».

AFRIKA: Die Erwartungen Afrikas sind so vielfältig wie die 55 Staaten
des Kontinents unterschiedlich sind. Die Anrainer der Sahelzone -
Mali, Niger, Tschad, Burkina Faso und Mauretanien - hoffen, dass die
Europäer den Löwenanteil ihrer Truppe «G5 Sahel» finanzieren, die
unter anderem den islamistischen Terrorismus bekämpfen soll. Viele
der ärmeren Staaten hoffen auf mehr Entwicklungshilfe seitens der
Europäer - auch wenn es beim Gipfel offiziell keine Finanzzusagen
geben soll. Länder wie Uganda oder Äthiopien, die jüngst
Hunderttausende afrikanische Flüchtlinge aufgenommen haben, hoffen
ebenfalls auf mehr als Lippenbekenntnisse von den Europäern. Die
weiter entwickelten Staaten wie Kenia oder Südafrika indes setzen
eher darauf, mehr Geschäfte mit den Europäern zu machen.

DIE NICHTREGIERUNGSORGANISATIONEN:

Keine Abschottung vor Flüchtlingen, keine Deals mit Diktatoren und
kein Handel zulasten von Kleinbauern: Hilfsorganisationen fordern
eine radikale Abkehr von der bisherigen Politik Europas. Viele der
aktuellen Kooperationen dienten nur der Eindämmung der illegalen
Migration und der Förderung der europäischen Wirtschaft.

Als Beispiel nennen Hilfsorganisationen wie Brot für die Welt, Medico
International und Pro Asyl die EU-Unterstützung für das
nordafrikanische Transitland Libyen. Sie steht seit Monaten in der
Kritik, weil es immer wieder Berichte darüber gibt, dass an der
Flucht nach Europa gehinderte Menschen dort in Lagern vergewaltigt,
gefoltert oder sogar getötet werden.

Organisationen wie das katholische Hilfswerk Misereor und das
globalisierungskritische Netzwerk Attack kritisieren die derzeitigen
Wirtschaftspartnerschaften (EPA) der EU mit Afrika. «Nach wie vor
werden afrikanischen Ländern politische Maßnahmen auferlegt, die vor
allem im Interesse der EU-Staaten sind und nicht dazu beitragen, den
Kontinent aus der sozialen und ökonomischen Krise und aus der
Abhängigkeit herauszuführen», meint Pirmin Spiegel von Misereor. So
führten die bestehenden Wirtschaftsabkommen zur Zerstörung lokaler
Märkte, weil EU-Importe wie Milchpulver, Tomatenpaste oder Geflügel
dort die Produkte von Kleinbauernfamilien verdrängten.