Stunde der Wahrheit: May trifft Juncker zu Brexit-Gesprächen

04.12.2017 05:00

Gelingt endlich der Durchbruch bei den Brexit-Verhandlungen? Vor
einem Treffen zwischen EU-Kommissionspräsident Juncker und
Premierministerin May zeichnet sich in Teilen eine Einigung ab.

London/Brüssel (dpa) - Die britische Premierministerin Theresa May
und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wollen am Montag eine
Zwischenbilanz zu den Brexit-Gesprächen ziehen. Bei dem Mittagessen
in Brüssel soll May klarstellen, zu welchen Zugeständnissen
Großbritannien bei wichtigen Fragen des für 2019 geplanten
EU-Austritts bereit ist. Wertet die EU-Kommission dies am Mittwoch
offiziell als ausreichend, könnten Bundeskanzlerin Angela Merkel und
die übrigen Staats- und Regierungschefs kommende Woche die Ausweitung
der Brexit-Verhandlungen einläuten.

Der britische Außenhandels-Staatssekretär Greg Hands forderte, von
dem Treffen müsse «das Signal ausgehen, die zweite Phase der
Austrittsgespräche einzuleiten» - also Gespräche über die Gestaltun
g
des künftigen Handels zwischen der EU und den Briten. Die Briten
erwarteten, dass der Europäische Rat Mitte Dezember den Anstoß für
die Verhandlung der neuen Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien
und der EU gebe, sagte der Tory-Politiker der «Neuen Osnabrücker
Zeitung» (Montag). «Klarheit ist absolut notwendig. Ich denke, wir
sind in einer guten Ausgangslage dafür.»

May steht unter enormem Druck. Sie hat angesichts ihrer hauchdünnen
Mehrheit im Parlament Revolten von mehreren Seiten zu fürchten. Zudem
bereitet ihr ein Skandal um ihren Stellvertreter und Kabinettschef
Damian Green Probleme. Gegen Green läuft eine Untersuchung wegen
Belästigungsvorwürfen, zudem soll auf einem seiner Dienstrechner
Pornografie entdeckt worden sein. Green streitet alle Vorwürfe ab.

Vor dem Treffen mit May stimmt Juncker mit dem Europaparlament eine
gemeinsame Verhandlungslinie ab. Mit den Parlamentariern will er
unter anderem besprechen, welche Garantien Großbritannien für die
dort lebenden 3,2 Millionen EU-Bürger abgeben muss. Auch die
Schlussrechnung Großbritanniens für die während der EU-Mitgliedschaft

gemeinsam eingegangenen Finanzverpflichtungen dürfte noch einmal
Thema sein. In beiden Fragen hatte es nach EU-Angaben Bewegung in den
Gesprächen mit London gegeben.

Ungeklärt war indes bis zuletzt, wie eine feste Grenze zwischen dem
EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland nach dem Brexit
vermieden werden kann. Dublin fordert eine schriftliche Zusicherung
Londons, dass es nach dem Brexit im März 2019 nicht zu
Grenzkontrollen zwischen den beiden Teilen der Insel kommt.

Bei allen drei Punkten will Brüssel «ausreichende Fortschritte»
erreichen, bevor über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und
Großbritannien und eine Übergangsphase nach dem Brexit verhandelt
wird.

Anhänger eines harten Brexits erhöhten indes weiter den Druck auf die
britische Premierministerin. In einem offenen Brief forderten
Mitglieder der Initiative «Leave means Leave» (Gehen bedeutet Gehen)
May am Sonntag auf, Brüssel mit Abbruch der Verhandlungen zu drohen,
sollte die Kommission nicht auf Maximalforderungen Londons eingehen.

Unter anderem verlangen sie den Abschluss eines Freihandelsabkommen
ohne Zölle bis zum März 2018 und ein abruptes Ende der
Personenfreizügigkeit, wenn Großbritannien die EU im Jahr darauf
verlässt. Unterzeichnet war der Brief von mehreren konservativen
Parlamentsabgeordneten - unter anderem von Jacob Rees-Mogg, dem
erzkonservativen Liebling der Brexit-Hardliner.

Ian Duncan Smith, ein weiterer prominenter Brexit-Enthusiast in der
Regierungsfraktion, warnte May in einem Gastbeitrag im «Sunday
Telegraph» vor Zugeständnissen in der Frage der künftigen Rolle des
Europäischen Gerichtshofes. Die EU fordert, dass die etwa 3,2
Millionen EU-Bürger in Großbritannien ihre Rechte weiterhin vor dem
höchsten EU-Gericht einklagen können. London lehnte das bislang
strikt ab. Medien berichteten aber, ein Kompromiss sei in Reichweite.

Sollte der Durchbruch für die Brexit-Gespräche beim EU-Gipfel Mitte
Dezember nicht gelingen, wäre das ein herber Schlag vor allem für
May, die seit der Wahlschlappe im Juni ohnehin als angezählt gilt. Am
Sonntag musste sie zusehen, wie der Vorstand ihres Beratergremiums
für soziale Gerechtigkeit geschlossen zurücktrat. Die Begründung: Die

Regierung sei zu sehr mit dem Brexit beschäftigt, um sich wirklich um
das Thema soziale Gerechtigkeit zu kümmern.