Großer Wurf oder Rohrkrepierer? Brüssel präsentiert Euro-Visionen Von Alkimos Sartoros, dpa

06.12.2017 17:01

Die europäische Finanzkrise ist offiziell ausgestanden, nun geht es
darum, Europa für künftige Krisen zu wappnen. Die EU-Kommission legt
dazu eine Reihe von Ideen vor. Ob vor allem die EU-Staaten denen
folgen, ist aber offen.

Brüssel (dpa) - Kurz vor Jahresende präsentiert die EU-Kommission
einen umfassenden Ideenkatalog für die Zukunft der Eurozone und der
EU-Finanzpolitik. Behördenchef Jean-Claude Juncker, dessen Amtszeit
2019 endet, bereitet damit möglicherweise schon sein Erbe vor. Die
Debatten um seine Ideen könnten aber noch länger andauern. Ein
Überblick:

Warum kommt die EU-Kommission jetzt mit einer Fülle an Vorschlägen?

Die Debatte um die Reform der Eurozone und der EU-Finanzpolitik
schwelt bereits seit geraumer Zeit. Bereits während der Schuldenkrise
wurden vor allem ab 2010 grundlegende Entscheidungen getroffen:
beispielsweise wurde 2012 der permanente Euro-Rettungsschirm ESM
geschaffen, der Krisenstaaten Kredite leihen kann. Zudem wurden rund
100 Banken unter die Aufsicht der Europäischen Zentralbank (EZB)
gestellt sowie ein gemeinsames Bankenabwicklungssystem (SRM/SRF)
geschaffen. Experten sehen aber noch Lücken, einige Entscheidungen
wurden während der Krise auch unter extremem Zeitdruck getroffen.

Brüssel sieht nun ein sehr gutes Zeitfenster für weitere Schritte.
«Nach den Krisenjahren ist es nun an der Zeit, Europas Zukunft in
unsere Hände zu nehmen. Dank des robusten Wirtschaftswachstums können
wir heute weiter voranschreiten», meint EU-Kommissionschef Juncker.
«Das Dach sollte man am besten dann reparieren, wenn die Sonne
scheint.»

Wie ist denn die wirtschaftliche Lage in Europa?

In der EU und in den 19 Staaten, die den Euro als Währung eingeführt
haben, ist die Situation so gut wie lange nicht. Prognosen zufolge
soll die Wirtschaft in der Eurozone 2017 um 2,2 Prozent und 2018 um
2,1 Prozent wachsen. Der Euroraum könnte damit das stärkste
Wirtschaftswachstum seit gut einem Jahrzehnt hinlegen. Gleichzeitig
soll die Schuldenquote - also das Verhältnis der Staatsschulden zum
BIP - 2017 auf 89,3 und 2018 auf 87,2 Prozent sinken. Wegen
übermäßiger Neuverschuldung befinden sich zudem nur noch Frankreich
und Spanien unter einem gesonderten Überwachungsverfahren. Zu
Hochzeiten der Krise waren es mehr als 20 Länder.

Was sind die wohl weitreichendsten Ideen aus Brüssel?

Der Vorschlag, den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM zu einem
Europäischen Währungsfonds (EWF) auszubauen, könnte langfristig die
größten Folgen haben. Derzeit wird der Fonds von den Regierungen der
Nationalstaaten finanziert und kontrolliert. Die EU-Kommission will
ihn mit mehr Kompetenzen ausstatten und vor allem ins
EU-Institutionengefüge einbinden. Das würde bedeuten, dass Kommission
und Europaparlament größeren Zugriff auf ihn haben. Der ESM hat
derzeit ein Volumen von gut 500 Milliarden Euro, der künftige EWF
könnte über noch mehr Geld verfügen.

Damit könnten auch künftige Reibereien mit dem Internationalen
Währungsfonds (IWF) vermieden werden. Bei vergangenen
Rettungsprogrammen - etwa im Falle Griechenlands - war der IWF vor
allem auf Betreiben einiger EU-Staaten wie Deutschland mit an Bord,
die auf die Expertise des IWF Wert legten. Im Laufe der Jahre gab es
zwischen den Europäern und dem IWF aber grundsätzliche Differenzen,
etwa zur Frage, ob es realistisch ist, angehäufte Schulden in
absehbarer Zeit deutlich zu reduzieren.

Brüssel wünscht sich künftig außerdem einen EU-Finanzminister, der

gleichzeitig EU-Vizekommissionspräsident und Vorsitzender der
Eurogruppe wäre, also des informellen Gremiums der Länder, die den
Euro eingeführt haben. Dieser könne unter anderem für eine
«kohärentere» Finanzpolitik in Europa sorgen, heißt es aus der
EU-Kommission.

Die Behörde hatte sich in der Vergangenheit bereits an
wirtschaftlichen Ungleichgewichten zwischen den Mitgliedstaaten
gestoßen. Deutschland etwa wurde wegen seines großen
Exportüberschusses zu mehr Investitionen im Inland angehalten.
Außerdem solle der EU-Finanzminister die Europäische Union auf
internationalem Parkett vertreten - so wie es die EU-Außenbeauftragte
Federica Mogherini bereits in der Außen- und Sicherheitspolitik tut.

Gibt es darüber hinaus noch Ideen?

Ja. Brüssel möchte etwa Staaten, die den Euro einführen wollen,
stärker zur Seite stehen. Staaten sollen sich demzufolge um
maßgeschneiderte Unterstützung bewerben können. Juncker hatte bereits

im September den Euro als Währung für alle EU-Staaten gefordert. Mit
Ausnahme Großbritanniens, das die EU 2019 verlässt, und Dänemarks,
ist dies auch laut EU-Vertrag vorgesehen. Beitrittskandidaten müssen
allerdings die sogenannten Konvergenzkriterien erfüllen, dazu gehören
etwa stabile Inflationsraten und solide öffentliche Haushalte.

Wie stehen die Chancen, dass zumindest einige der Ideen Realität
werden?

Nicht unbedingt gut. Aus dem Kreis der EU-Finanzminister, die
letztlich maßgeblich über die Schritte mitentscheiden, gab es zuletzt
wenig Begeisterung angesichts der erwarteten Ideen. Die Kommission
lege eine breite Wunschliste vor, hieß es zudem hinter vorgehaltener
Hand in Brüssel. Unmut gab es zudem, weil die EU-Kommission die
Präsentation ihres «Nikolauspakets» einen Tag nach dem Treffen der
EU-Finanzminister ansetzte. Manch einer sah darin den Versuch, die
eigentlich zuständigen Ressortchefs zu umgehen und direkt an die
Staats- und Regierungschefs heranzutreten, die Mitte Dezember tagen.
Die größten Chancen scheint aber zumindest eine teilweise Ausweitung
des ESM zu haben - etwa mit mehr Kompetenzen bei der Bankensicherung.

Wie geht es nun konkret weiter?

Die EU-Staats- und Regierungschefs werden am 15. Dezember bei einem
Euro-Gipfel über die Zukunft der europäischen Wirtschafts- und
Währungsunion beraten. Konkrete Schritte sollen dann im kommenden
Jahr folgen. Die Beteiligten sind sich jedoch weitgehend einig, dass
die grundlegenden Reformen Jahre dauern könnten.