Der «Krabbenkrieg» vor Spitzbergen Von Theresa Münch und Alkimos Sartoros, dpa

16.02.2018 06:30

Auf den ersten Blick wirkt es läppisch: Norwegen und die EU streiten
über Fangrechte für die Schneekrabbe, eine seltene Delikatesse vom
Meeresgrund. Doch in Wahrheit könnte es um anderes gehen: Das
schwarze Gold darunter.

Longyearbyen/Brüssel (dpa) - Sie ist knapp anderthalb Kilo schwer,
hat lange dünne Beine - und ist heiß umstritten. Zwischen der EU und
Norwegen hat sich ein Streit um die Schneekrabbe entzündet. Ihr
weißes Fleisch - etwas süßer als das anderer Krabben - gilt als
Delikatesse aus arktischen Gewässern. Norwegen will verhindern, dass
EU-Schiffe sie vor der Küste Spitzbergens ohne Einverständnis fangen.
Die Europäische Union wehrt sich. Eine Lappalie? Nein, denn nach
Ansicht von Experten steckt hinter dem Krabben-Streit etwas viel
Gravierenderes: ein Streit ums Öl.

«Die Schneekrabbe selbst ist natürlich wichtig, weil ihr Fleisch
wertvoll ist», sagt der norwegische Jurist Geir Ulfstein. «Doch sie
sitzt auch auf dem Meeresgrund, auf dem Kontinentalsockel, wo wir
möglicherweise Öl und Gas finden.» Jede Entscheidung über Fangrecht
e
für die Schneekrabbe könnte auch zur Entscheidung darüber werden, wer

das Öl darunter beanspruchen kann.

Grundlage des Streits ist der Spitzbergen-Vertrag von 1920, der
besagt, dass das arktische Archipel zwar unter norwegischer Hoheit
steht, dort aber Bürger aller Vertragsstaaten gleiche Rechte auf
Arbeit, Handel und Ressourcen haben. Die Frage ist nun, wie weit
hinaus aufs Meer dieser Vertrag noch gilt.

«Unsere Position ist, dass die Vertragspartner ein Recht auf
diskriminierungsfreien Zugang zur Schneekrabbe in den Wassern von
Spitzbergen haben», sagt der EU-Kommissar für Fischerei, Karmenu
Vella. Die EU geht davon aus, dass Norwegen hier nicht mehr
Fangrechte hat als andere Staaten.

Norwegen dagegen ist der Meinung, dass der Spitzbergen-Vertrag
außerhalb der 200-Meilen-Zone und auf dem Kontinentalsockel nicht
mehr greift. Die Schneekrabbe bewege sich außerdem nicht im Wasser,
sondern nur auf dem Meeresgrund - deswegen könnte Norwegen allein den
Fang erlauben. Fischereiminister Per Sandberg machte im vergangenen
Jahr klar, man sei zu Absprachen mit der EU bereit, «aber dafür
müssen wir natürlich etwas zurückbekommen».

Die Norweger boten den europäischen Schiffen an, für eine
Gegenleistung 500 Tonnen Schneekrabbe zu fangen - gerade einmal ein
Achtel der 4000 Tonnen, die das norwegische Fischereiministerium für
2018 als Fangquote festgelegt hat. Die Krabben lassen sich gut
verkaufen: Die im Jahr 2016 gefangenen rund 4500 Tonnen haben
Schätzungen zufolge einen Wert von mehr als 20 Millionen Euro.
Wissenschaftler des norwegischen Meeresforschungsinstituts gehen
davon aus, dass der ökonomische Wert der Schneekrabben in der
Barentssee bald den des Kabeljau übertreffen wird.

Statt auf den Deal der Norweger einzugehen, entschieden die
EU-Fischereiminister deshalb bei einem Treffen im Dezember, dass 20
internationale Schiffe weiter Schneekrabbe vor Spitzbergen fangen
dürfen. Die Fischer sollten aber gewarnt werden, dass sie Probleme
bekommen könnten, sagte Vella im Januar bei einer Befragung im
Europaparlament.

Tatsächlich hat Norwegen im vergangenen Jahr ein lettisches Schiff
samt Crew festgenommen, das zwar eine EU-Lizenz hatte, nach Ansicht
der Norweger aber trotzdem illegal Schneekrabben fischte. Die
Betreiber der «Senator» wurden gerade vor Gericht zu einer Geldstrafe
verurteilt. Norwegische Medien schrieben bereits von einem
«Krabbenkrieg».

Ulfstein, der norwegische Jurist, hält beide Interpretationen des
Gesetzes für nachvollziehbar. Den Kontinentalsockel hätten die
Vertragspartner 1920 nicht im Spitzbergen-Vertrag erwähnt. Es sei
also wahrscheinlich an europäischen Gerichten zu entscheiden, wie der
Vertrag ausgelegt werde. Derzeit sind die Verhandlungen auf
politischer Ebene festgefahren. Der nächste Schritt sei der vor
Gericht, meint Ulfstein.

Dass man über Fischfang durchaus heftig streiten kann, zeigt die
Vergangenheit. Berüchtigt sind die sogenannten Kabeljaukriege, die in
den 1970er Jahren zwischen Großbritannien und Island tobten. Island
wollte seine Fischereigrenzen ausweiten, was zu teils rabiaten
Zusammenstößen britischer Trawler mit isländischen Schiffen führte.

Netze wurden durchgeschnitten, Boote gerammt. So handgreiflich muss
es diesmal nicht werden. Bei der EU-Kommission heißt es zumindest,
man sei bereit die Gespräche fortzuführen.