EU: Russland sehr wahrscheinlich hinter Giftattacke von Salisbury

23.03.2018 02:28

Nach London geht jetzt auch die EU mit Moskau scharf ins Gericht: Die
Verantwortung für den Giftanschlag auf einen ehemaligen Agenten
schreibt sie Russland zu. Der EU-Gipfel beteuert seine Solidarität
mit Großbritannien.

Brüssel (dpa) - Nach dem Giftanschlag von Salisbury schließen sich
die EU-Staaten der Einschätzung Großbritanniens an, dass sehr
wahrscheinlich Russland dafür verantwortlich ist. Dies hätten die 28
Staaten beim EU-Gipfel in Brüssel einheitlich festgestellt, sagte
Kanzlerin Angela Merkel am frühen Freitagmorgen. Dafür gebe es «gar
keine andere Erklärung».

Damit verschärft die EU erheblich die Tonlage gegenüber Moskau. Noch
am Montag hatten sich die EU-Außenminister nicht auf eine klare
Schuldzuweisung an Moskau einigen können. Die britische
Premierministerin Theresa May zeigte sich erfreut, dass die EU sich
der britischen Linie im Fall des Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und
seine Tochter Yulia anschließt.

Als erste konkrete Reaktion auf den Anschlag beschlossen die Staats-
und Regierungschefs, dass die EU ihren Botschafter aus Moskau für
Konsultationen zurück nach Brüssel ruft, wie der niederländische
Ministerpräsident Mark Rutte nach den Beratungen bestätigte. Mehrere
Mitgliedstaaten erwögen zudem, auch ihre nationalen Botschafter
zurückzurufen oder russische Diplomaten auszuweisen, hieß es aus
Diplomatenkreisen.

Auch Merkel hält weitere Maßnahmen gegen Russland für möglich.
Zunächst müsse jedoch die Bewertung durch die mit der Untersuchung
beauftragte Chemiewaffenorganisation abgewartet werden.

Skripal und seine Tochter waren am 4. März bewusstlos auf einer
Parkbank im englischen Salisbury gefunden worden. Sie wurden nach
derzeitigem Ermittlungsstand mit dem in der früheren Sowjetunion
entwickelten Kampfstoff Nowitschok vergiftet. Beide befinden sich
noch in einem kritischen Zustand.

Großbritannien beschuldigt schon länger Russland, hinter der Attacke
zu stehen. «Russland hat eine schamlose und rücksichtslose Attacke
gegen Großbritannien verübt», sagte Premierministerin May in Brüsse
l.
Dies sei «Teil eines Musters russischer Aggression gegen Europa und
seine Nachbarn». Russland streitet jegliche Verantwortung für den
Anschlag ab. 

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warb trotz der Spannungen
mit Moskau dafür, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Die
Europäische Union müsse sich mit ihren Nachbarn ins Benehmen setzen,
ohne eigene Werte aufzugeben oder Prinzipien zu verraten, sagte er.

Das zweite große Thema des Gipfels spielte nicht in Brüssel, sondern
in Washington. Von dort kam während der Beratungen die Nachricht,
dass die Europäische Union zunächst von US-Strafzöllen auf Stahl und

Aluminium ausgenommen bleibe.

Ausführliche Diskussionen vertagten die Staats- und Regierungschefs
jedoch auf den zweiten Gipfeltag am Freitag. Die EU warte weiter auf
eine offizielle Bestätigung der US-Regierung, dass Europa von den
angekündigten US-Strafzöllen ausgenommen werde, sagte Merkel. Man
könne «noch nicht abschließend sagen, wie die Entscheidungen jetzt
wirklich gelaufen sind», sagte Merkel am frühen Freitagmorgen. Sollte
es doch zu Zollerhebungen gegen die EU kommen, werde diese antworten.
Die EU werde reagieren, wenn sie glaube, dass internationale
Handelsregeln verletzt werden.

Thema in der ersten Gipfelrunde waren auch die Pläne, große
Internetkonzerne wie Google und Facebook in Europa stärker zu
besteuern. Einigkeit wurde aber noch nicht erzielt, man wolle im Juni
erneut beraten, erklärten Juncker und Tusk.