Beziehung leicht abgekühlt: Macron besucht Merkel Von Sebastian Kunigkeit, Alkimos Sartoros und Thomas Lanig, dpa

19.04.2018 08:44

Die Zeit drängt. Bis Ende Juni wollen Frankreich und Deutschland
gemeinsame Vorschläge für die Zukunft der EU auf den Tisch legen.
Während der eine aufs Tempo drückt, bremst die andere. Oder trügt
dieser Eindruck?

Berlin/Paris (dpa) - Fast ein Dutzend mal haben sie sich getroffen
seit dem September 2017, als der junge französische Präsident seine
Reformrede in der Sorbonne hielt - und für die deutsche Kanzlerin die
Mühen der Regierungsbildung begannen. Von Aufbruch in Europa war die
Rede, und von einem «Schub» auch für die deutsche Politik. Jetzt
macht sich Ernüchterung breit, denn viel ist nicht passiert seitdem.
An diesem Donnerstag kommt Emmanuel Macron nach Berlin, und es wird
sich zeigen, wie viel noch geht zwischen Deutschland und Frankreich.

Dass Angela Merkel ihren Gast diesmal auf der Großbaustelle des
Humboldt-Forums im unfertigen Berliner Stadtschloss empfängt, steht
fast symbolisch für die vielen ungelösten Fragen. «Ich bin nicht
bange», sagt Merkel zu den Chancen, vor dem Juni-Gipfel der EU echte
Ergebnisse zu erreichen. Dabei sind manche Themen schwieriger als
andere. Darum geht es vor allem:

- Eurozonen-Haushalt/Finanzminister/EWF

Macron pocht auf mehr Solidarität innerhalb der Wirtschafts- und
Währungsunion - das hat er auch in seiner Rede im EU-Parlament in
Straßburg am Dienstag noch einmal unterstrichen. Der Präsident will
insbesondere einen Haushalt für die Eurozone, der gemeinsame
Investitionen finanzieren soll und die Währungsunion gegen
wirtschaftliche Schocks absichert. Der von ihm verwendete Begriff
einer «budgetären Kapazität» lässt allerdings Spielraum für
Verhandlungen. Macron hatte auch einen europäischen Finanzminister
gefordert - davon war aber zuletzt nicht mehr groß die Rede.

Merkel und größere Teile der Union treten etwa bei einem eigenen
Eurozonen-Haushalt auf die Bremse. Zunächst müssten die Probleme des
EU-Gesamthaushalts gelöst werden, die etwa mit dem Wegfall der
britischen Beiträge nach dem Brexit anstehen.

Die Umwandlung des Rettungsschirms ESM in einen Europäischen
Währungsfonds war kein Teil von Macrons Vorschlägen, auch wenn
Frankreich in Brüssel hier grundsätzlich positiv auftritt. Eigentlich
ist das Konzept ein Erbe des früheren deutschen Finanzministers
Wolfgang Schäuble (CDU). Der wollte damit aber eher der EU-Kommission
Kompetenzen wegnehmen und den Mitgliedsländern übertragen. Vor allem
Merkels Union wehrt sich nun dagegen, dass der künftige EWF an den
nationalen Parlamenten vorbei agieren könnte. Zudem seien dafür
Änderungen der EU-Verträge und die Zustimmung des Bundestages
notwendig - mit dem Risiko einer Abstimmungsniederlage für Merkel.

- Bankenunion und Einlagensicherung

Die Vollendung der Bankenunion ist für Paris einer der ersten
Schritte zur Reform der Währungsunion - und Macron drückt aufs Tempo.
Der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire appellierte
Anfang des Monats an seine europäischen Kollegen, sich nicht von
«trügerischen technischen Vorwänden» aufhalten zulassen. Das könn
te
man auch auf Deutschland beziehen.

Auch die Kanzlerin hat - zuletzt am Dienstag - die Priorität der
Bankenunion bekräftigt. Dazu gehört aber auch die umstrittene
Einlagensicherung. Vorher müssten die Risiken von Problembanken
minimiert werden, darauf pocht Merkel. Die Frage ist also: Wie viele
faule Kredite in den Bankbilanzen etwa in Italien müssten abgebaut
werden, bevor die Einlagensicherung kommen kann?

- Besteuerung von Google etc.

Frankreich macht Druck bei der Besteuerung von Internet-Giganten in
Europa. Man könne nicht akzeptieren, dass Digitalunternehmen keine
Steuern zahlten, aber dann in Konkurrenz zu traditionellen
Unternehmen träten, die dies tun. Insgesamt will Macron, dass die
Sozial- und Steuersysteme in Europa näher zusammenrücken, unter
anderem hat er einen einheitlichen Mindestsatz für Unternehmensteuern
vorgeschlagen.

Hier sind Macron und Merkel dicht beieinander, allerdings ist hier
Einstimmigkeit der EU-Länder erforderlich. Also müsste auch Irland
mitmachen. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD heißt es
immerhin: «Wir unterstützen eine gerechte Besteuerung großer Konzerne

wie Google, Apple Facebook und Amazon.» Unternehmen sollten künftig
die Staaten der EU nicht mehr gegeneinander ausspielen können.

- Asylpolitik und Flüchtlinge

Macron forderte in seiner Sorbonne-Rede ein europäisches Asylamt, um
die Asylverfahren in Europa anzugleichen und zu beschleunigen. Er
schlägt zudem direkte europäische Finanzhilfen für Kommunen vor, die

Flüchtlinge aufnehmen. Er hofft, so den ewigen Streit um eine
Quotenregelung zur Umverteilung von Flüchtlingen zu überwinden.

Damit kommt der Franzose Berlin durchaus entgegen. Auch für Merkel
hat ein gemeinsames europäisches Asylsystem Priorität. Dazu will sie
eine wirksamere Sicherung der Außengrenzen durchsetzen. Aber auch
wenn sich Paris und Berlin da durchaus einig sind, gibt es in anderen
EU-Ländern erheblichen Widerstand.

- Gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik

In der Verteidigungspolitik hat Macron ein spezielles Budget, eine
Interventionstruppe und die Entwicklung einer gemeinsamen
Einsatzdoktrin vorgeschlagen, um die EU schlagkräftiger zu machen.
Paris und Berlin sind da dicht beieinander. Auch im Koalitionsvertrag
heißt es, notwendig sei eine «kraftvolle gemeinsame Außen-,
Sicherheits, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik, die weit
intensiver als bisher mit einer Stimme spricht und mit gut
ausgestatteten und aufeinander abgestimmten zivilen und militärischen
Instrumenten arbeitet.»

- Finanzplanung nach dem Brexit

Macron hat sich bereit gezeigt, Frankreichs Beitrag zum EU-Haushalt
zu erhöhen - sofern dessen Finanzierungsmix verändert wird. Zum
Beispiel brauche die EU mehr Eigenmittel, die ihr ohne den Umweg über
nationale Haushalte zugute kommen. Als Beispiel nannte Macron Steuern
auf bestimmte Energiequellen.

Auch Deutschland hat zugesagt, die EU finanziell zu stärken. Hier
dürfte es in der EU noch viel Streit über die Prioritäten geben - in

CDU und CSU wird darauf gepocht, dass Geld etwa vor allem in
Zukunftsprojekte, die Sicherung der EU-Außengrenzen investiert wird.

Wie mit einer Erhöhung der Beiträge der Wegfall der britischen
Zahlungen nach dem Brexit - die Lücke wird auf 12 bis zu 14
Milliarden Euro geschätzt - kompensiert werden soll, ist unklar.
Kürzungen bei der Agrar- und Strukturpolitik sind wohl unvermeidlich.
Gerade die Landwirtschaft ist für Frankreich ein sensibler Bereich -
aber ganz gewiss auch für deutsche Regionen wie Bayern.
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat für Anfang Mai schon seinen

Besuch in Brüssel angekündigt.