Dunkle Wolken überm Acker - Deutschlands Bauern droht EU-Geld-Kürzung Von Martina Herzog, Elmar Stephan und Alkimos Sartoros, dpa

20.04.2018 05:46

Deutschlands Bauern droht Ungemach. Wegen des Brexits schrumpft das
EU-Budget kräftig, in den kommenden Jahren könnten Milliarden aus
Brüssel wegfallen. Vor allem in ländlichen Regionen könnte das
schwere Folgen haben - doch die Lobbyschlacht läuft.

Brüssel (dpa) - Was haben britische Wähler mit der Finanzlage
deutscher Bauern zu tun? Mehr als man vielleicht denkt. Denn wenn
Großbritannien demnächst die EU verlässt - wie beim Referendum 2016
gefordert -, dann reißt das Land eine Lücke im EU-Haushalt. Die
anderen 27 Mitglieder müssen ohne die finanzstarken Briten planen,
Ausgaben kürzen - und es dürfte auch die Bauern treffen. Das könnte
an die Existenz gehen, sagen Betroffene. Denn praktisch jeder
Landwirtschaftsbetrieb in Deutschland hat Anspruch auf EU-Geld.

Einbußen zwischen fünf und zehn Prozent sollen auf die Bauern in
Europa zukommen, wenn es nach EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger
(CDU) geht. Derzeit tüftelt Oettinger an Vorschlägen für die nächst
e
mehrjährige Finanzperiode für die Zeit nach 2020.

Für Landwirt Ulrich Löhr wären Kürzungen schmerzhaft. In der Region

Wolfsburg bewirtschaftet er einen großen Betrieb von 280 Hektar, das
sind 2,8 Quadratkilometer. Bei Ackerbauern wie ihm machten die ganz
überwiegend aus EU-Geld bestehenden Transferzahlungen etwa 60 Prozent
des Betriebseinkommens aus, sagt Löhr, der auch Vizepräsident des
Bauernverbands Landvolk Niedersachsen ist. Jeder Betrieb sei von Geld
aus Brüssel abhängig, das sei ein wichtiger Teil des Einkommens.

Diese «Direktzahlungen» erhalten alle Bauern, die sie beantragen, aus
dem EU-Haushalt. Sie hängen vor allem von der Größe der
bewirtschafteten Fläche ab. Bei Geldern für den ländlichen Raum, die

teilweise ebenfalls den Landwirten zugute kommen, haben die
nationalen Regierungen mehr Spielraum bei der Ausgestaltung.

Deutschland profitiert dabei erheblich. Von 2014 bis 2020 sind 34,7
Milliarden Euro an Direktzahlungen vorgesehen. Rund 9,5 Milliarden
Euro sind für die Entwicklung des ländlichen Raums eingeplant.

Haushaltskommissar Oettinger wird am EU-Agrarbudget wohl zwangsläufig
den Rotstift ansetzen. Schließlich macht es mit rund 40 Prozent
beziehungsweise 58 Milliarden Euro pro Jahr den größten Posten im
EU-Haushalt aus.

Doch warum wird ein ganzer Wirtschaftszweig mit Steuermitteln
gestützt? Müsste dieses Geld nicht stärker an Naturschutzmaßnahmen

gekoppelt werden, wie es etwa die Grünen fordern? «Öffentliches Geld

für öffentliche Leistungen» wird das gern genannt.

Nein, meint Löhr. Für deutsche Landwirte gälten ohnehin schon recht
viele Vorschriften. «Als Ackerbauer konkurriere ich mit Anbietern aus
Kasachstan, der Ukraine oder Argentinien - und die haben weniger
Auflagen zu beachten als wir in Deutschland.» Hermann Wesseler aus
Bissendorf im Osnabrücker Land sieht das genauso. Die Direktzahlungen
als «Subventionen» zu bezeichnen, ärgert ihn: Wenn die Marktpreise
für Ackerfrüchte besser wären, würden Direktzahlungen nicht benöt
igt.

Und die Anforderungen sind ja schon gewachsen. Neben der reinen
Lebensmittelversorgung spielen mittlerweile Klima- und
Umweltauswirkungen der Landwirtschaft eine wesentlich größere Rolle.

Eduard Luitjens, Milchbauer aus dem ostfriesischen Westoverledingen
und Mitglied der stärker ökologisch orientierten Arbeitsgemeinschaft
bäuerliche Landwirtschaft (AbL), sieht in der Diskussion vor allem
bei den Direktzahlungen Einsparpotenzial. «Man sollte eine Obergrenze
ziehen - bei 500 Hektar ist Schluss», sagt er. Außerdem sollte bei
den Zahlungen auch berücksichtigt werden, wie viele Menschen auf
einem Hof beschäftigt werden.

Hintergrund ist, dass unterm Strich ein Großteil aller EU-Gelder
wegen der Kopplung an die bewirtschaftete Fläche an große Betriebe
fließt. Im Gespräch ist daher, etwa für die ersten Hektar mehr zu
zahlen, um somit vor allem kleineren Betrieben zu helfen, und dann
bei zunehmender Fläche die Summe pro Hektar zu senken.

Die meisten Agrar-Direktzahlungen erhalten dabei in Deutschland
übrigens bayerische Bauern. Mit größerem Abstand folgen nach Zahlen
des Bundeslandwirtschaftsministeriums für 2016 dann Niedersachsen mit
Bremen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.

Welche Folgen hätte es nun, wenn die Zuwendungen um zehn Prozent
gekürzt würden? AbL-Mitglied Luitjens und der Landvolk-Vizepräsident

Löhr sind sich einig: Viele Betriebe würden aufgeben.

Der irische EU-Agrarkommissar Phil Hogan hat deshalb Verständnis für
die Sorgen der Landwirte - und am liebsten würde er Kürzungen
vermeiden. Aber der Agrarsektor müsse wegen des Brexits «seinen Part
übernehmen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Hinter den Kulissen laufen schon die Gespräche, die Beteiligten
halten sich aber bedeckt - so auch Bundesagrarministerin Julia
Klöckner (CDU). «Mein Ziel ist eine solide Finanzierung der
gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik», sagte sie der dpa. Wie diese
aussehen kann, ist allerdings offener denn je.