Unionsstreit erzürnt SPD - Seehofer warnt Merkel vor Entlassung

22.06.2018 11:40

Aus den Reihen der CSU kommen weiter Spitzen gegen die Kanzlerin.
Dabei ist die gerade im Nahen Osten unterwegs. Innenminister Seehofer
bestreitet aber, ein Ultimatum gestellt zu haben - und sieht sich als
Wachküsser.

Berlin (dpa) - Bundesinnenminister Horst Seehofer bestreitet,
Kanzlerin Angela Merkel im Streit um die Asylpolitik ein Ultimatum
bis Anfang Juli gestellt zu haben. «Unsinn! Es gibt kein Ultimatum.
Die Kanzlerin hat die Bundestagsfraktion der Union gebeten, ihr zwei
Wochen Zeit zu geben. Der CSU-Vorstand hat beschlossen, es gehört zum
guten Stil, einer solchen Bitte einer Kanzlerin zu entsprechen»,
sagte der CSU-Chef der «Passauer Neuen Presse» (Freitag). «Die
Kanzlerin hat sich selbst eine Frist gesetzt.»

Merkel will beim EU-Gipfel Ende Juni die von ihr angestrebte
europäische Lösung hinbekommen: Andere EU-Staaten sollen sich in
bilateralen Vereinbarungen verpflichten, bei ihnen registrierte und
nach Deutschland weitergereiste Flüchtlinge zurückzunehmen. Sollte es
dort keine Einigung geben, will Seehofer - gegen den Willen von
CDU-Chefin Merkel - ab Anfang Juli solche Flüchtlinge an den Grenzen
zurückweisen lassen. Es droht ein Bruch des Unionsbündnisses - und
damit der Koalition.

«Sollte der Kanzlerin eine europäische Lösung gelingen, wird niemand

glücklicher sein als ich», sagte Seehofer. «Ich bin froh, dass ich
die Europäische Union wachgeküsst habe.» Innerhalb von nur einer
Woche gebe es plötzlich in Europa Bereitschaft, sich zusammenzusetzen
und die Probleme zu lösen. «So etwas habe ich noch nie erlebt.»

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) warf der
CSU vor, die Union auf einen antieuropäischen Rechtskurs zwingen zu
wollen. «In Wahrheit geht es im Moment auch überhaupt nicht um das
Thema Grenzabweisung, sondern in Wahrheit will die CSU eine
Verschiebung der Position der Union weit nach rechts gegen Europa»,
sagte er im Deutschlandfunk. Die CDU könne das nicht dulden.

Gegen die AfD werde die CSU auch nicht erfolgreich sein, wenn sie
möglichst laut schreie und versuche, die Rechtspopulisten an
Populismus zu überbieten. Im Gegenteil: «Die Länder, die besonnen
agieren, auch die Unionsländer, und einfach problemlösungsorientiert
agieren, die halten die AfD klein», sagte Günther.

Auch der CDU-Politiker Norbert Röttgen griff die Schwesterpartei an.
Sie setze wegen einer ungewissen Lösung für drei Grenzübergänge bei

sonst weiter unkontrollierten Grenzen «alles - eine Koalition, diese
Erfolgsfraktionsgemeinschaft - aufs Spiel», sagte der Vorsitzende des
Bundestagsausschusses für Auswärtiges im ZDF. «Das ist überhaupt
nicht mehr rational und überhaupt nicht verantwortlich.»

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte am Donnerstagabend in
der ZDF-Sendung «Maybrit Illner»: «Es geht nicht um eine Person. Wir

wollen das gemeinsam mit der Kanzlerin lösen.» Aber: Es gebe eine
Vertrauenskrise.

Merkel hatte der CSU zuletzt mit ihrer Richtlinienkompetenz als
Regierungschefin gedroht. Seehofer warnte sie davor, ihn wegen eines
möglichen Alleingangs zu entlassen. «Wenn man mit dieser Begründung
einen Minister entließe, der sich um die Sicherheit und Ordnung
seines Landes sorgt und kümmert, wäre das eine weltweite
Uraufführung. Wo sind wir denn?», fragte er in der Zeitung. «Ich bin

Vorsitzender der CSU, einer von drei Koalitionsparteien, und handele
mit voller Rückendeckung meiner Partei. Wenn man im Kanzleramt mit
der Arbeit des Bundesinnenministers unzufrieden wäre, dann sollte man
die Koalition beenden.»

Die Zurückweisung von Flüchtlingen ist einer von 63 Punkten aus
seinem noch unveröffentlichten sogenannten Masterplan zur
Asylpolitik. «Die Bundeskanzlerin hat mit 62 1/2 von 63 Punkten kein
Problem. Bei dem ausstehenden halben Punkt wird aus einer Mickey Maus
ein Monster gemacht», klagte Seehofer.

Der Unionsstreit sorgt beim Koalitionspartner SPD zunehmend für
Unmut. Sie sei «sehr verärgert über die Art und Weise, wie hier mit
Deutschland auch gespielt wird, weil man offensichtlich Panik hat,
dass man in Bayern die absolute Mehrheit verliert», sagte die
Vorsitzende Andrea Nahles in den ARD-«Tagesthemen» mit Blick auf die
CSU und die bayerische Landtagswahl im Oktober. Es gehe in dem Streit
gar nicht mehr um die Flüchtlingspolitik, sondern vielmehr um
Machtkämpfe, Rivalitäten sowie um «innerparteilichen Geländegewinn
».

In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov sprachen sich
43 Prozent der Befragten dafür aus, dass Merkel zurücktritt und ihr
Amt an einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin übergibt. Mit 42
Prozent wünschen sich etwa genauso viele Befragte, dass die
CDU-Vorsitzende Kanzlerin bleibt. 15 Prozent machten keine Angaben.

Nach ihrer Rückkehr will Merkel am Sonntag mit mehreren europäischen
Staats- und Regierungschefs in Brüssel über die Flüchtlingspolitik
debattieren. Doch auch hier gibt es Wirbel: Der Ministerpräsident
Italiens, Giuseppe Conte, hatte mitgeteilt, Merkel habe ihm zugesagt,
dass der Entwurf der geplanten Erklärung «beiseite gelegt» werde. Das

Land fühlt sich bei der Vorbereitung des Treffens übergangen. In
deutschen Regierungskreisen wurde betont: «Das Treffen am Sonntag hat
lediglich vorbereitenden Charakter.»

Der Gastgeber des Brüsseler Treffens, EU-Kommissionschef Jean-Claude
Juncker, hatte eine vierseitige Erklärung angepeilt. Mit dieser
wollte er die Verständigung der Teilnehmer im Asylstreit befördern.
Im Entwurf heißt es: «Wir werden einen flexiblen gemeinsamen
Rücknahmemechanismus nahe an den Binnengrenzen einrichten.» Nach
Junckers Willen sollen die Teilnehmer auch Maßnahmen beschließen, um
die Weiterreise von Asylsuchenden zwischen EU-Staaten zu unterbinden.

Nach Ansicht des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin
Laschet (CDU) bedarf es für die bilateralen Abkommen auch
finanzieller Leistungen. «Natürlich wird das auch Geld kosten», sagte

Laschet der «Rheinischen Post» (Freitag). «Natürlich muss ganz Euro
pa
Italien und den anderen Ländern an den Außengrenzen bei dieser
schwierigen Aufgabe helfen.» Dies sei Konsens mit den Osteuropäern,
mit Ungarn und Österreich. Das CSU-Vorstandsmitglied Markus Ferber
hatte gesagt: «Wir haben die Sorge, dass Angela Merkel jetzt mit dem
Scheckbuch durch Europa läuft.»