Fronten im Unionsstreit verhärten sich vor Brüsseler Asyltreffen

22.06.2018 17:13

Vor dem informellen EU-Gipfel dämpft Berlin die Erwartungen: Für die

Suche nach einer Lösung im Asylstreit hat die Kanzlerin noch ein paar
Tage mehr Zeit. Die CSU gibt sich weiter unnachgiebig - aber nicht
nur sie.

Berlin/Brüssel (dpa) - Vor dem Migrationsgipfel in Brüssel
verschärfen CDU und CSU den Ton im Asylstreit. Schleswig-Holsteins
CDU-Ministerpräsident Daniel Günther warf der CSU vor, sie wolle die
gesamte Union auf einen antieuropäischen Rechtskurs zwingen. Das
könne die CDU nicht dulden, sagte er am Freitag im Deutschlandfunk.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt schloss ein Scheitern des
Bündnisses der Schwesterparteien nicht aus: «Ob wir bei Haltung und
Handlung jetzt eine gemeinsame Linie finden können, ist im Moment
noch offen», sagte er dem «Spiegel». Kanzlerin und CDU-Chefin Angela

Merkel rief zu Sacharbeit auf.

Die CSU will Asylbewerber an der deutschen Grenze abweisen, wenn
diese bereits in einem anderen EU-Land registriert sind. Die
CSU-Spitze hat Merkel bis Ende dieses Monats Zeit gegeben, die von
ihr favorisierte europäische Lösung mit bilateralen
Rücknahme-Vereinbarungen zu erreichen. Andernfalls will CSU-Chef
Horst Seehofer als Innenminister gegen Merkels Willen im nationalen
Alleingang eine Abweisung an den Grenzen anordnen - ein Schritt, der
zum Bruch des Unionsbündnisses und damit der Koalition führen könnte.


An einem informellen Arbeitstreffen an diesem Sonntag in Brüssel, zu
dem EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker geladen hat, wollen
16 EU-Staaten teilnehmen. Eine Abschlusserklärung ist der
Bundesregierung zufolge nicht geplant. Ein EU-Gipfel ist für den 28.
und 29. Juni anberaumt. Die CSU werde unmittelbar danach über das
weitere Vorgehen entscheiden, sagte Dobrindt dem «Spiegel». Nach
dpa-Informationen aus Parteikreisen hat Seehofer für den 1. Juli
(15.00 Uhr) zu einer Vorstandssitzung geladen.

Im Oktober ist in Bayern Landtagswahl. Der CSU droht der Verlust der
absoluten Mehrheit. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU)
schrieb in einem Gastbeitrag für die «Welt», es habe sich rechts
neben der Union eine neue Kraft legimitiert. Um die AfD bekämpfen zu
können, müssten CDU und CSU die Kraft finden, «ein dauerhaftes
Angebot an diejenigen zu machen, die verunsichert sind, sich einen
starken Staat wünschen, Schutz für Europa wollen und denen der Erhalt
der eigenen kulturellen Identität am Herzen liegt».

Bei der SPD sorgt das Zerwürfnis des Koalitionspartners für Unmut.
Sie sei «nicht bereit, diese Mätzchen noch weiter mitzumachen», hatte

Parteichefin Andrea Nahles in der ARD gesagt. Die Jusos forderten,
rote Linien zu formulieren. Der SPD-Nachwuchs legte einen Katalog mit
elf Punkten vor, die «unverhandelbar» sein müssten. Darin heißt es

etwa, es dürfe keine pauschalen Zurückweisungen geben.
Internierungslager und Sach- statt Geldleistungen seien abzulehnen.

Angesichts der Koalitionskrise sprachen sich in einer YouGov-Umfrage
43 Prozent der Befragten dafür aus, dass Merkel zurücktritt und ihr
Amt an einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin übergibt. Mit 42
Prozent wünschen sich etwa genauso viele Befragte, dass die
CDU-Vorsitzende Kanzlerin bleibt, 15 Prozent machten keine Angaben.

Merkel besuchte am Freitag den Libanon und sagte Regierungschef Saad
Hariri weitere Unterstützung zu. Der Libanon hat 4,5 Millionen
Einwohner und nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR fast
eine Million Flüchtlinge aus dem Nachbarland Syrien aufgenommen.
Zuvor hatte Merkel Jordanien besucht. Mit einer Verbesserung der Lage
der syrischen Migranten in der Region will sie erreichen, dass sie
sich nicht in Richtung Europa aufmachen. Auf die Frage, ob sie an den
Fortbestand der großen Koalition glaube, sagte Merkel, sie «arbeite
dafür, dass die Koalition ihre Aufgaben, die sie sich im
Koalitionsvertrag gestellt hat, auch erfüllen kann».

Merkel hatte der CSU im Asylstreit mit ihrer Richtlinienkompetenz
gedroht. Das Grundgesetz gibt der Kanzlerin das Recht, Richtlinien
der Politik verbindlich festzulegen. Seehofer warnte Merkel in der
«Passauer Neuen Presse»: «Wenn man mit dieser Begründung einen
Minister entließe, der sich um die Sicherheit und Ordnung seines
Landes sorgt und kümmert, wäre das eine weltweite Uraufführung.» Er

sei Parteichef und habe deren volle Rückendeckung. «Wenn man im
Kanzleramt mit der Arbeit des Bundesinnenministers unzufrieden wäre,
dann sollte man die Koalition beenden.»

Die von Seehofer geplante Zurückweisung von Flüchtlingen ist einer
von 63 Punkten aus seinem noch unveröffentlichten sogenannten
Masterplan zur Asylpolitik. «Die Bundeskanzlerin hat mit 62 1/2 von
63 Punkten kein Problem. Bei dem ausstehenden halben Punkt wird aus
einer Mickey Maus ein Monster gemacht», klagte Seehofer.

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz rechnet mit europaweiten
Folgen, wenn Deutschland Flüchtlinge zurückweisen sollte. «Ein
kurzfristiges Intensivieren der Kontrollen an den EU-Grenzen kann
einen Domino-Effekt auslösen, der illegale Migration abschreckt, weil
man dann eben nicht einfach so weiter bis Deutschland, Österreich
oder Schweden reisen kann», sagte er der «Bild».

Italiens Innenminister Matteo Salvini warnte, die Zukunft der EU
stehe auf dem Spiel. «Innerhalb eines Jahres wird sich entscheiden,
ob es das vereinte Europa noch gibt oder nicht mehr», sagte er dem
«Spiegel». Merkels Ziel bilateraler Vereinbarungen erteilte er eine
Absage: «Wir können keinen Einzigen mehr aufnehmen.» Über Italien

kommen besonders viele Flüchtlinge nach Europa.