Protestmarsch gegen Brexit in London - Johnson setzt May unter Druck

24.06.2018 15:53

Zehntausende demonstrieren in Großbritannien gegen den geplanten
Ausstieg aus der EU. Brexit-Hardliner holen unterdessen zum
Gegenschlag aus - und drohen mit einem Austritt ohne Abkommen.

London (dpa) - Anlässlich eines großen Anti-Brexit-Protestmarsches
haben mehrere britische Minister den Druck auf Premierministerin
Theresa May massiv erhöht und mehr Härte gegen Brüssel gefordert. Sie

müsse stärker einen Ausstieg aus der Europäischen Union ohne Abkommen

in Betracht ziehen, forderten die Brexit-Hardliner. Außenminister
Boris Johnson warnte sogar vor einem «Klopapier-Brexit».

An der Demonstration hatten am Samstag in London Zehntausende
Menschen teilgenommen, die bis zum Parlament zogen. Die Veranstalter
sprachen von mindestens 100 000 Teilnehmern. Organisator war die
Anti-Brexit-Kampagne «People's Vote», die eine neue Volksabstimmung
forderte - dieses Mal über ein mögliches Austrittsabkommen.

Der Marsch fand exakt zwei Jahre nach dem Referendum statt, bei dem
die Briten mit knapper Mehrheit für eine Scheidung von Brüssel
gestimmt hatten. Die etwa gleichmäßige Aufteilung der Wähler in
EU-Gegner und EU-Befürworter hat sich seitdem kaum geändert.

Johnson, dem Begehrlichkeiten auf den Regierungsposten nachgesagt
werden, attackierte May in der Zeitung «The Sun». Er forderte sie
dazu auf, keinen «halbherzigen» Ausstieg aus der Europäischen Union
abzuliefern. Johnson warnte vor einem «Klopapier-Brexit», der «weich,

nachgiebig und scheinbar unendlich lang» sei. Für seine Wortwahl
wurde er von verschiedenen Seiten heftig kritisiert.

Handelsminister Liam Fox und Brexit-Minister David Davis betonten,
dass auch der EU-Ausstieg ohne Abkommen eine echte Option für ihr
Land sei. Dies sei kein Bluff, sagte Fox dem Sender BBC. Außerdem
erhielt May einen Brief von 60 Politikern und Wirtschaftsvertretern
mit der Aufforderung, das Tempo bei den Vorbereitungen auf einen
möglichen Brexit ohne Abkommen zu erhöhen.

An dem Anti-Brexit-Marsch in London beteiligten sich Menschen vieler
Nationen. «Ich habe eine italienische Frau, ich selbst arbeite in
Cambridge und sie in Rom», sagte ein Computerspezialist. Auch viele
Mitglieder der oppositionellen Labour-Partei, der Liberaldemokraten,
aber auch einige der regierenden Konservativen nahmen teil.

Die Verhandlungen zwischen London und Brüssel verlaufen sehr
schleppend. Dabei will Großbritannien bereits Ende März 2019 die
Staatengemeinschaft verlassen. Die Regierung ist zwar weiter auf dem
Kurs eines harten Brexits mit Ausstieg aus Zollunion und Binnenmarkt,
aber eben intern zerstritten. May regiert nur mit hauchdünner
Mehrheit und steht von mehreren Seiten unter erheblichem Druck.

Unternehmen wie BMW monierten einen Mangel an Planungssicherheit für
ihre britischen Produktionsstätten. Airbus drohte im Falle eines
harten Brexits ohne Abkommen sogar mit dem Teil-Rückzug aus dem Land.
Das Vereinigte Königreich steuere ungebremst auf einen ungeordneten
Brexit zu, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der
Deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang. Für ein geordnetes
Ausscheiden der Briten aus der Staatengemeinschaft müsste der nächste
EU-Gipfel die Weichen stellen. «Die britische Regierung spielt
weiterhin auf Zeit. Diese Strategie führt ins Desaster.»