Merkel will Asylstreit im Eiltempo mit EU-Partnern entschärfen

24.06.2018 18:00

Seit Jahren kommt die EU bei der gemeinsamen Asylpolitik nicht voran,
doch nun soll alles ganz schnell gehen. Denn nicht nur das Schicksal
der großen Koalition in Berlin könnte von einer raschen Lösung
abhängen.

Brüssel (dpa) - Getrieben vom Koalitionspartner CSU sucht
Bundeskanzlerin Angela Merkel im Eiltempo eine Notlösung im
europäischen Asylstreit. Binnen weniger Tage sollen Absprachen mit
einzelnen EU-Ländern gegen das Weiterwandern von Flüchtlingen stehen,
wie die CDU-Chefin am Sonntag in Brüssel sagte. Das mögliche
Partnerland Italien will jedoch eine viel umfassendere Lösung und
fordert die komplette Abkehr vom bisherigen europäischen Asylsystem.

Merkel steht innenpolitisch unter maximalem Druck, weil der CSU-Chef
und Bundesinnenminister Horst Seehofer mit einem asylpolitischen
Alleingang droht und andernorts registrierte Flüchtlinge an der
deutschen Grenze zurückweisen will. Nur bis zum EU-Gipfel Ende der
Woche hat er Merkel Zeit für eine europäische Lösung gegeben. Davon
könnte die Zukunft der großen Koalition abhängen, aber auch die
weitere Entwicklung in Europa. Mehrere Politiker warnten am
Wochenende, die Europäische Union könnte am Asylstreit zerbrechen.

Merkel sagte bei einem Sondertreffen von 16 EU-Staaten in Brüssel, es
gehe um die Begrenzung der illegalen Zuwanderung nach Europa, aber
auch um das Weiterziehen der Menschen innerhalb der Europäischen
Union. Bis zum EU-Gipfel werde noch keine Gesamtlösung möglich sein.
Deshalb gehe es in den nächsten Tagen um bi- oder trilaterale
Absprachen, wie man fair miteinander umgehen und einen Ausgleich
schaffen könnte.

Nötig wären solche Einzelabsprachen wohl vor allem mit Italien, wo
bisher besonders viele Bootsflüchtlinge ankamen. Nach den Regeln des
sogenannten Dublin-Systems müssen sich die Menschen dort registrieren
lassen und einen Asylantrag stellen, wo sie zuerst europäischen Boden
betreten. Tatsächlich ziehen jedoch viele weiter Richtung
Deutschland. Italien sieht sich seit langem in Europa alleine
gelassen, auch wenn die Zahl der ankommenden Flüchtlinge inzwischen
stark gesunken ist.

Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte kam mit einem
Zehn-Punkte-Plan nach Brüssel, in dem er die Überwindung dieses
Dublin-Systems fordert. Hauptziel ist demnach zunächst, die illegale
Migration nach Europa weiter drastisch zu reduzieren, unter anderem
über Abkommen mit den Herkunftsländern und sogenannten Schutzzentren
in Transitländern. Sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge ohne Anspruch
auf Asyl sollten gerecht auf die EU-Staaten verteilt werden.

Unter diesen Bedingungen würden Bewegungen innerhalb der EU dann «zur

Nebensache», heißt es in dem italienischen Papier. Und in dem Fall
wäre Italien offenbar auch bereit zu Einzelabsprachen: «Die
sekundären Bewegungen können so Ziel technischer Abkommen zwischen
den besonders interessierten Ländern werden.»  

Die noch striktere Abschottung der Außengrenzen scheint in der EU
konsensfähig. Vor dem Brüsseler Treffen verdichtete sich auch die
Unterstützung für mögliche Sammellager für Migranten, entweder auf

EU-Gebiet oder auch außerhalb der EU, zum Beispiel in Nordafrika.
Allerdings ist kein Drittstaat bekannt, der zur Aufnahme solcher
Lager bereit wäre.

Frankreich und Spanien forderten am Wochenende gemeinsam solche
Zentren für ankommende Migranten «auf europäischem Boden». Sowohl d
er
französische Präsident Emmanuel Macron als auch der spanische
Ministerpräsident Pedro Sanchez erinnerten in Brüssel aber auch an
europäische Werte und die Menschenwürde, die bei jeder europäischen
Lösung gewahrt bleiben müssten.

Die CSU-Spitze hatte den Druck auf Merkel am Wochenende noch einmal
massiv erhöht. Seehofer sagte, er werde sich auch durch Merkels
Richtlinienkompetenz als Kanzlerin nicht von seinen Plänen einer
Abweisung von Flüchtlingen an der Grenze abbringen lassen. Der
«Süddeutschen Zeitung» (Samstag) sagte er, er unterstütze zwar eine

europäische Lösung. «Aber wenn es bis zum EU-Gipfel keine Regelung
gibt, beginne ich mit den Zurückweisungen an der Grenze.»

Das wurde als neue Kampfansage in dem seit Wochen laufenden
Machtkampf der beiden Unionsparteien verstanden. In Teilen der Union
stoßen die heftigen Streitigkeiten an der Spitze auf wachsendes
Unbehagen. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) warnte
Seehofer davor, Merkel mit einem Alleingang herauszufordern und seine
Entlassung zu provozieren. Auch der Koalitionspartner SPD reagiert
auf den Unionsstreit zunehmend gereizt und besorgt.

Voraussetzung für Zurückweisungen wären systematische Grenzkontrollen

innerhalb der Schengenzone. Das trifft bei europäischen Partnern auf
Widerstand. Der belgische Ministerpräsident Charles Michel sagte vor
dem Brüsseler Treffen, seine erste Priorität sei, die kontrollfreie
Reisefreiheit im Schengenraum zu erhalten.

Teilnehmer bei dem Treffen waren neben Deutschland, Griechenland,
Italien, Bulgarien, Malta, Österreich, Frankreich und Spanien auch
Belgien, die Niederlande, Dänemark, Kroatien, Slowenien, Finnland,
Schweden und Luxemburg. Zwölf EU-Staaten nehmen nicht teil.
Demonstrativ abgesagt hatten etwa die Visegrad-Staaten Ungarn, Polen,
Tschechien und die Slowakei.

Mehrere Teilnehmer betonten, es gehe hier nicht um deutsche
Innenpolitik, sondern um ein europäisches Problem. «Es geht nicht
darum, ob Frau Merkel nächste Woche noch Kanzlerin bleibt oder
nicht», meinte der luxemburgische Regierungschef Xavier Bettel.