Merkel muss weiter an europäischer Lösung im Asylstreit arbeiten

24.06.2018 20:24

Seit Jahren kommt die EU bei der gemeinsamen Asylpolitik nicht voran,
doch nun soll alles ganz schnell gehen. Denn nicht nur das Schicksal
der großen Koalition in Berlin könnte von einer raschen Lösung
abhängen.

Brüssel (dpa) - Trotz des großen innenpolitischen Drucks hat
Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem EU-Sondertreffen in Brüssel
noch keine Lösungsansätze im europäischen Asylstreit skizziert. Es
gebe aber viel guten Willen, sagte die CDU-Chefin am Sonntagabend.
Man werde bis zum EU-Gipfel am Donnerstag «aber natürlich auch
danach» an Lösungen arbeiten.

Die CSU verlangt allerdings schon beim Gipfel einen europäischen
Ansatz, um das Weiterwandern von Flüchtlingen innerhalb der EU zu
unterbinden. Anderenfalls droht Bundesinnenminister Horst Seehofer
mit einem Alleingang: Dann will er ab 1. Juli bereits in der EU
registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückweisen lassen.
Dies könnte die Zukunft der großen Koalition, aber auch den
Zusammenhalt in der EU gefährden. Mehrere Politiker warnten am
Wochenende, die Europäische Union könnte am Asylstreit zerbrechen.

Um eine rasche Lösung zu finden, hatte EU-Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker zu dem Sondertreffen vor dem Gipfel eingeladen,
zu dem 16 EU-Länder kamen. Merkel gab sich danach optimistisch,
allerdings ohne dies konkret zu unterfüttern. «Wir sind uns alle
einig, dass wir die illegale Migration reduzieren wollen, dass wir
unsere Grenzen schützen wollen, und dass wir alle für alle Themen
verantwortlich sind», sagte die Kanzlerin. «Wo immer möglich, wollen

wir natürlich europäische Lösungen finden, und wo dies nicht möglic
h
ist, wollen wir, die willig sind, zusammenführen und einen
gemeinsamen Rahmen des Handelns erarbeiten.»

Vor Beginn des Treffens hatte sie konkret von Absprachen mit
einzelnen EU-Ländern gesprochen, um das Weiterziehen der Migranten zu
begrenzen. Italien - eines der Hauptankunftsländer am Mittelmeer -
will sich darauf aber auf die Schnelle keinesfalls einlassen, wie es
aus italienischen Regierungskreisen hieß.

Der neue Ministerpräsident Giuseppe Conte fordert stattdessen eine
umfassende Lösung und einen radikalen Wandel in der europäischen
Asylpolitik. Das bisherige sogenannte Dublin-Systems solle aufgegeben
werden, heißt es in einem Zehn-Punkte-Plan, den Conte mit nach
Brüssel brachte.

Nach den Dublin-Regeln müssen sich die Menschen dort registrieren
lassen und einen Asylantrag stellen, wo sie zuerst europäischen Boden
betreten. Tatsächlich ziehen jedoch viele weiter Richtung
Deutschland.

Conte fordert, die illegale Migration nach Europa weiter drastisch zu
reduzieren, unter anderem über Abkommen mit den Herkunftsländern und
sogenannten Schutzzentren in Transitländern. Sogenannte
Wirtschaftsflüchtlinge ohne Anspruch auf Asyl sollten gerecht auf die
EU-Staaten verteilt werden.

Unter diesen Bedingungen würden Bewegungen innerhalb der EU dann
«nebensächlich», heißt es in dem italienischen Papier. Und in dem
Fall - aber erst nach Erfüllung der Voraussetzungen - wäre Italien
dann auch bereit zu Einzelabsprachen: «Die sekundären Bewegungen
können so Gegenstand technischer Abkommen zwischen den besonders
betroffenen Ländern werden.»

Die noch striktere Abschottung der Außengrenzen scheint in der EU
konsensfähig. Vor dem Brüsseler Treffen verdichtete sich auch die
Unterstützung für mögliche Sammellager für Migranten, entweder auf

EU-Gebiet oder auch außerhalb der EU, zum Beispiel in Nordafrika.
Allerdings ist kein Drittstaat bekannt, der zur Aufnahme solcher
Lager bereit wäre.

Frankreich und Spanien forderten am Wochenende gemeinsam Zentren für
ankommende Migranten «auf europäischem Boden». Sowohl der
französische Präsident Emmanuel Macron als auch der spanische
Ministerpräsident Pedro Sanchez erinnerten in Brüssel aber auch an
europäische Werte und die Menschenwürde, die bei jeder europäischen
Lösung gewahrt bleiben müssten.

Die CSU-Spitze hatte den Druck auf Merkel am Wochenende noch einmal
massiv erhöht. Seehofer sagte, er werde sich auch durch Merkels
Richtlinienkompetenz als Kanzlerin nicht von seinen Plänen einer
Abweisung von Flüchtlingen an der Grenze abbringen lassen. Der
«Süddeutschen Zeitung» (Samstag) sagte er, er unterstütze zwar eine

europäische Lösung. «Aber wenn es bis zum EU-Gipfel keine Regelung
gibt, beginne ich mit den Zurückweisungen an der Grenze.»

Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte am Abend in der ZDF-Sendung
«Berlin direkt» zum unionsinternen Streit, man werde versuchen zu
gemeinsamen Positionen zu kommen. Aber: «Ich bin ein bisschen traurig
darüber, dass schon einige in den großen Wochenendzeitungen Töne von

sich geben, die nicht darauf hindeuten, dass man auch noch einen
Kompromiss suchen will.»

Seehofers Äußerung wurde als neue Kampfansage in dem seit Wochen
laufenden Machtkampf der beiden Unionsparteien verstanden. In Teilen
der Union stoßen die heftigen Streitigkeiten an der Spitze auf
wachsendes Unbehagen. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU)
warnte Seehofer davor, Merkel mit einem Alleingang herauszufordern
und seine Entlassung zu provozieren. Auch der Koalitionspartner SPD
reagiert auf den Unionsstreit zunehmend gereizt und besorgt.

Voraussetzung für Zurückweisungen wären systematische Grenzkontrollen

innerhalb der Schengenzone. Das trifft bei europäischen Partnern auf
Widerstand. Der belgische Ministerpräsident Charles Michel sagte vor
dem Brüsseler Treffen, seine erste Priorität sei, die kontrollfreie
Reisefreiheit im Schengenraum zu erhalten. Anschließend sprach er von
einem intensiven und nützlichen Treffen. Beim EU-Gipfel am Donnerstag
halte er Fortschritte für möglich.

Teilnehmer bei dem Treffen Brüsseler waren neben Deutschland,
Griechenland, Italien, Bulgarien, Malta, Österreich, Frankreich und
Spanien auch Belgien, die Niederlande, Dänemark, Kroatien, Slowenien,
Finnland, Schweden und Luxemburg. Zwölf EU-Staaten nehmen nicht teil.
Demonstrativ abgesagt hatten etwa die Visegrad-Staaten Ungarn, Polen,
Tschechien und die Slowakei.