Merkel plädiert für Vielfalt und Kompromisse in Europa

14.08.2018 17:42

Immer wieder derselbe Vorwurf: Zu viel Bürokratie und Bürgerferne in
Europa. Die Kanzlerin versucht, dagegen zu halten - und macht klar:
Nicht immer ist Europa schuld.

Jena (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat bei einer
Bürgerdiskussion zur Europapolitik für Kompromissfähigkeit und
Vielfalt geworben. Angesichts nationalistischer und separatistischer
Strömungen sagte sie in einer Fragerunde am Dienstag in Jena: «Lasst
uns den Kompromiss nicht schlecht machen.» Vor allem die politische
Mitte auf europäischer Ebene habe die Verantwortung, «nicht einfach
nur zu kritisieren, sondern etwas zu gestalten». Das heiße aber auch:
«Europa kann nicht nur tun, was Deutschland richtig findet.»

Demokratie bedeute nicht nur Mehrheitsentscheidungen, sondern auch
den Schutz von Minderheiten, sagte Merkel weiter. «Europa wird nur
gelingen, wenn ich auch sage: Wir sind stolz darauf, verschieden zu
sein. Wir wollen nicht alle gleich werden.» Diese Vielfalt dürfe
nicht durch zu viele Regeln zerstört werden. Einen von Teilnehmern
der Diskussion immer wieder geforderten Bürokratieabbau in Europa
begrüßte sie grundsätzlich, sagte aber zugleich: «Wir haben auch de
n
Eindruck, dass wir in Deutschland oft auch besonders genau sind.»

In der Diskussion mit ausgewählten Bürgern bekräftigte Merkel ihren
europäischen Ansatz in der Migrationspolitik. Beispielsweise arbeite
die Bundesregierung in dem afrikanischen Durchgangsland Niger bei der
Bekämpfung des Schlepperwesens mittlerweile mit Italien, Frankreich
und der Europäischen Kommission zusammen, sagte sie. Die Kanzlerin
empfängt an diesem Mittwoch den Präsidenten der Republik Niger,
Issoufou Mahamadou, im Gästehaus der Bundesregierung in Meseberg
nördlich von Berlin.

Merkel verteidigte erneut das Flüchtlingsabkommen der EU mit der
Türkei. «Das ist ein Geben und Nehmen», sagte sie auf die Bemerkung
einer Teilnehmerin, dass man die Türkei dafür bezahle, dass weniger
Flüchtlinge nach Europa kämen. Es sei in beiderseitigem Interesse,
der Türkei bei der Versorgung der Migranten und Flüchtlinge zu
helfen, damit diese in der Nähe ihrer Heimat blieben und nicht nach
Europa weiter wanderten.

Es war der erste Auftritt Merkels vor Bürgern nach dem Asylstreit mit
der CSU und ihrem Sommerurlaub. In der 90-minütigen Debatte
unterstrich sie ihre Skepsis gegenüber Forderungen nach einem
gemeinsamen Euro-Finanzminister. Dafür müssten neue parlamentarische
Strukturen zur Kontrolle in der EU geschaffen werden - das
EU-Parlament ist für die Kontrolle des gesamten EU-Haushalts
zuständig.

Offen zeigte sich Merkel aber erneut für die Einrichtung eines
gesonderten Euro-Haushalts. «Unter bestimmten Bedingungen kann ich
mir das vorstellen», sagte sie. Ein Euro-Haushalt könne dazu
beitragen, dass sich die Wirtschaftskraft in den Ländern der
gemeinsamen Währung weiter annähere.

Weitere Themen der Diskussion waren auch aktuelle sozialpolitische
Debatten, wie das Kindergeld für Ausländer. Merkel sprach sich dabei
klar für Änderungen der EU-Regeln aus. Die Bundesregierung werde hier
weiter mit der EU-Kommission verhandeln. In der Debatte über den
Fachkräftemangel in der Pflege sagte Merkel, sie könne sich auch
vorstellen, ähnlich wie bei Ärzten in Nordrhein-Westfalen eine
Verpflichtung einzuführen, dass Pflegekräfte einen bestimmten
Zeitraum im ländlichen Raum arbeiten müssten. Darüber werde sie mit
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprechen.