Noch Vermisste in Genua - Brücke unterlag besonderen Auflagen

16.08.2018 14:48

Im Wettlauf gegen die Zeit graben Retter in Genua weiter nach
Vermissten - wohl vergeblich. Die Regierung sucht die Verantwortung
beim Autobahnbetreiber. Brüssel spricht eine andere Sprache.

Genua (dpa) - In Genua werden zwei Tage nach dem Brückeneinsturz mit
rund 40 Toten noch etliche Menschen unter den Trümmern vermutet. «Es
könnte noch 10 bis 20 vermisste Personen geben», sagte der leitende
Staatsanwalt Francesco Cozzi laut Nachrichtenagentur Ansa am
Donnerstag in der italienischen Hafenstadt. Angesichts der
verstrichenen Zeit sei es «wenig wahrscheinlich, Überlebende zu
finden», zitierte Ansa den Regionalpräsidenten Giovanni Toti. 

Während eines Unwetters war am Dienstag ein Abschnitt des viel
befahrenen Polcevera-Viadukts eingestürzt und hatte viele Fahrzeuge
in die Tiefe gerissen. Die Angaben zur Länge des eingebrochenen
Stücks variierten zwischen 100 und 250 Metern. Am Donnerstag
verlautete aus verlässlicher Quelle, dass es sich um eine Länge von
rund 180 Metern handelte.

Die Präfektur korrigierte laut Ansa am Donnerstag die Zahl der
offiziell bestätigten Toten auf 38. Für sie soll es am Samstag
ein Begräbnis geben und dann auch eine Staatstrauer gelten. Unter den
Opfern sind mindestens drei Minderjährige im Alter von 8, 12 und 13
Jahren. 15 Menschen sind der Präfektur zufolge verletzt, 9 von ihnen
befinden sich noch immer in einem kritischen Zustand.

Die Rettungskräfte setzten am Donnerstag die schwierige Suche
nach Vermissten fort. Unterdessen verschärfte die Regierung ihre
Vorwürfe gegen den Autobahnbetreiber Autostrade per l'Italia zu. Sie
sieht die Verantwortung für die Katastrophe bei dem Unternehmen und
will ihm die Lizenz für die Straße entziehen.

Die EU-Kommission stellte am Donnerstag klar, die Morandi-Brücke war
Teil eines europäischen Fernstraßennetzes und unterlag deshalb
besonderen Prüf- und Sicherheitsauflagen der EU. Verantwortlich für
die Umsetzung seien die italienischen Behörden.

Die Kommission wies abermals Aussagen des italienischen
Innenministers Matteo Salvini zurück, wonach Brüsseler Sparvorgaben
für die marode Infrastruktur des Landes mitverantwortlich sein
könnten. EU-Staaten könnten politische Prioritäten im Rahmen der
geltenden Haushaltsregeln selbst festlegen, wiederholte der Sprecher.

Der Autobahnbetreiber teilte am Donnerstag mit, er hab zwischen 2012
und 2017 mehr als eine Milliarde Euro jährlich in die Sicherheit und
Instandhaltung investiert. Die Staatsanwaltschaft geht allerdings
davon aus, dass die Katastrophe kein zufälliges Unglück war.

Der mehr als 40 Meter hohe Polcevera-Viadukt, der auch Morandi-Brücke
genannt wird, spannt sich unter anderem über Wohnhäuser, Gleisanlagen
und Fabriken und ist seit langem umstritten. Die Brücke ist Teil der
Autobahn 10 und verbindet den Osten mit dem Westen der Stadt. Sie ist
als Urlaubsroute «Autostrada dei Fiori» bekannt und eine wichtige
Fernstraße nach Südfrankreich, in den Piemont und die Lombardei.

Die Tragödie hat Hunderte Menschen obdachlos gemacht: Sie mussten
ihre Häuser nahe der Brücke aus Sicherheitsgründen verlassen.
Regionalpräsident Toti erklärte laut Ansa am Donnerstag, dass die
Häuser nicht wieder bewohnt werden können. In den nächsten Tagen
sollen Häuser für die Betroffenen zur Verfügung gestellt werden.

Die Regierung hatte am Mittwoch den Notstand für die Hafenstadt
verhängt und fünf Millionen Euro Nothilfe bereit gestellt. Das Dekret
soll ermöglichen, erste wichtige Maßnahmen in Gang zu setzen, um dem
Ausnahmezustand zu begegnen. Der Notstand soll zwölf Monate gelten
und in diesem Zuge auch ein Sonderbeauftragter für den Wiederaufbau
benannt werden.