Genua sucht Opfer und Ursachen - Regierung rügt Brückenbetreiber

16.08.2018 16:21

Im Wettlauf gegen die Zeit graben Retter in Genua weiter nach
Vermissten - wohl vergeblich. Die Regierung sucht die Verantwortung
beim Autobahnbetreiber. Brüssel spricht eine andere Sprache.

Genua (dpa) - Auch mehr als 50 Stunden nach dem Brückeneinsturz mit
Dutzenden Toten haben Bergungskräfte am Donnerstag in Genua noch nach
weiteren Opfern unter den Trümmern gesucht. «Es könnte noch 10 bis 20

vermisste Personen geben», sagte der leitende Staatsanwalt Francesco
Cozzi laut Nachrichtenagentur Ansa am Donnerstag in der
italienischen Hafenstadt. Angesichts der verstrichenen Zeit sei es
«wenig wahrscheinlich, Überlebende zu finden», zitierte Ansa den
Regionalpräsidenten Giovanni Toti. 

Während eines Unwetters war am Dienstag ein Abschnitt des viel
befahrenen Polcevera-Viadukts eingestürzt und hatte viele Fahrzeuge
in die Tiefe gerissen. Die Angaben zur Länge des eingebrochenen
Stücks variierten zwischen 100 und 250 Metern. Am Donnerstag
verlautete aus verlässlicher Quelle, dass es sich um eine Länge von
rund 180 Metern handelte.

Die Präfektur korrigierte laut Ansa am Donnerstag die Zahl der
offiziell bestätigten Toten auf 38. Für sie soll es am Samstag
ein Begräbnis geben und dann auch eine Staatstrauer gelten. Unter den
Opfern sind mindestens drei Minderjährige im Alter von 8, 12 und 13
Jahren. 15 Menschen sind der Präfektur zufolge verletzt, 9 von ihnen
befinden sich noch immer in einem kritischen Zustand.

Unterdessen verschärfte die Regierung ihre Vorwürfe gegen den
Autobahnbetreiber Autostrade per l'Italia zu. Sie sieht die
Verantwortung für die Katastrophe bei dem Unternehmen und will ihm
die Lizenz für die Straße entziehen.

Die EU-Kommission stellte am Donnerstag klar, die Morandi-Brücke war
Teil eines europäischen Fernstraßennetzes und unterlag deshalb
besonderen Prüf- und Sicherheitsauflagen der EU. Verantwortlich für
die Umsetzung seien die italienischen Behörden.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bot Italien den Einsatz
eines Expertenteams unter Leitung des Brückenexperten des
Ministeriums, Gero Marzahn, an. Eine Rückmeldung aus Rom stand nach
Ministeriumsangaben vom Donnerstag zunächst aus. Scheuer hatte seinen
Amtskollegen Danilo Toninelli in einem Schreiben sein Mitgefühl wegen
des Unglücks ausgesprochen und Hilfe angeboten.

Die Kommission wies abermals Aussagen des italienischen
Innenministers Matteo Salvini zurück, wonach Brüsseler Sparvorgaben
für die marode Infrastruktur des Landes mitverantwortlich sein
könnten. EU-Staaten könnten politische Prioritäten im Rahmen der
geltenden Haushaltsregeln selbst festlegen, wiederholte der Sprecher.

Der Autobahnbetreiber teilte am Donnerstag mit, er hab zwischen 2012
und 2017 mehr als eine Milliarde Euro jährlich in die Sicherheit und
Instandhaltung investiert. Die Staatsanwaltschaft geht allerdings
davon aus, dass die Katastrophe kein zufälliges Unglück war.

Der mehr als 40 Meter hohe Polcevera-Viadukt, der auch Morandi-Brücke
genannt wird, spannt sich unter anderem über Wohnhäuser, Gleisanlagen
und Fabriken und ist seit langem umstritten. Die Brücke ist Teil der
Autobahn 10 und verbindet den Osten mit dem Westen der Stadt. Sie ist
als Urlaubsroute «Autostrada dei Fiori» bekannt und eine wichtige
Fernstraße nach Südfrankreich, in den Piemont und die Lombardei.

Die Tragödie hat Hunderte Menschen obdachlos gemacht: Sie mussten
ihre Häuser nahe der Brücke aus Sicherheitsgründen verlassen.
Regionalpräsident Toti erklärte laut Ansa am Donnerstag, dass die
Häuser nicht wieder bewohnt werden können. In den nächsten Tagen
sollen Häuser für die Betroffenen zur Verfügung gestellt werden.

Die Regierung hatte am Mittwoch den Notstand für die Hafenstadt
verhängt und fünf Millionen Euro Nothilfe bereit gestellt. Das Dekret
soll ermöglichen, erste wichtige Maßnahmen in Gang zu setzen, um dem
Ausnahmezustand zu begegnen. Der Notstand soll zwölf Monate gelten
und in diesem Zuge auch ein Sonderbeauftragter für den Wiederaufbau
benannt werden.