Griechenland-Rettung: EU feiert - die Griechen weniger Von Takis Tsafos und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

20.08.2018 18:47

Das letzte Rettungsprogramm für Athen ist abgeschlossen, insgesamt
289 Milliarden Euro an Krediten überwiesen. Griechenland sei nun
wieder ein «normales Land», sagt EU-Kommissar Moscovici. Wirklich?

Athen/Brüssel (dpa) - Es war ein bittersüßer Abschied: Nach acht
Krisenjahren verlässt Griechenland endlich den Euro-Rettungsschirm,
und in Brüssel überwogen am Montag Freude und Stolz. «Ihr habt es
geschafft», twitterte EU-Ratspräsident Donald Tusk und gratulierte
dem griechischen Volk. Vielen Griechen war indes nicht zum Feiern
zumute, und auch Ministerpräsident Alexis Tsipras hielt sich zunächst
zurück. Rechte wie linke Kritiker sind ohnehin überzeugt: Gerettet
ist das hoch verschuldete Euroland noch lange nicht.

Acht Jahre, drei Kreditprogramme mit insgesamt 289 Milliarden Euro
und immer wieder neue Spar- und Reformprogramme auf Druck der
EU-Partner und des Internationalen Währungsfonds: Der Abschluss der
scheinbar endlosen Rettungsbemühungen markiert in jedem Fall einen
tiefen Einschnitt. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
bemühte das Bild des «neuen Kapitels», Finanzkommissar Pierre
Moscovici sprach von einem «symbolischen Schlussstrich unter eine
existenzielle Krise des Euro-Währungsgebiets». Beide lobten die
Anstrengungen der Griechen und versprachen Beistand und Freundschaft.

Der Athener Buchhalter Nikos Wroussis sah die Sache nüchterner.
«Für mich und meinen Kunden ändert sich nichts», sagte der Prok
urist
der Deutschen Presse-Agentur, der kleinere Unternehmen in
Arbeitervierteln im Westen Athens betreut. Er verweist zum Beispiel
auf anhaltende Kapitalverkehrskontrollen. Die Griechen dürfen bei
einer Ausreise höchstens 3000 Euro mitnehmen und auch nur begrenzt
Gelder elektronisch ins Ausland überweisen. Auch die
«Hyperbesteuerung» stört Wroussis: Für jede 100 Euro die ein H
ändler,
ein Rechtsanwalt, ein Arzt kassiere, müssten 72 Euro als Steuern,
Rentenbeiträge und Krankenkasse gezahlt werden.

Änderungen sind nicht absehbar - dafür bleibt der griechischen
Regierung auch nach Ende des Hilfsprogramms kaum Spielraum. Für die
billigen Kredite aus dem Euro-Rettungsschirm ESM und künftige
Schuldenerleichterungen musste sie harte Auflagen akzeptieren. Der
Staat muss so viel Geld sparen, dass er bis 2022 jährlich
Primärüberschüsse von 3,5 Prozent erreicht - gemeint sind
Haushaltsüberschüsse ohne Berücksichtigung von Zins und Tilgung für

Kredite. Bis 2060 soll Jahr für Jahr 2,2 Prozent Primärüberschuss
bleiben. Wroussis nennt dies eine «ökonomische Zwangsjacke».

Die Gläubiger wollen mit strikten Kontrollen verhindern, dass
Griechenland die während der Rettungsaktion erzwungene Reformpolitik
aufgibt. Schon in der Woche ab dem 10. September sollen wieder
Experten der Kreditgeber nach Athen reisen und dann regelmäßig im
Rhythmus von drei Monaten.

Zugesagt, aber noch nicht umgesetzt, sind zum Beispiel weitere
Rentenkürzungen. EU-Kommissar Moscovici wurde am Montag gefragt, ob
die denn - bei entsprechenden Haushaltsspielräumen - zu umgehen
wären. Das könne er nicht kommentieren, sagte der Franzose, machte
dann aber doch eine klare Ansage: «Gemachte Zusagen müssen
respektiert werden.» Immerhin würden nun keine neuen Vorgaben mehr
gemacht. «Griechenland ist jetzt ein normales Land», sagte Moscovici.

Alles andere als normal - und wirtschaftlich gesund - ist jedoch der
gigantische Schuldenberg des Landes von rund 180 Prozent der
Wirtschaftsleistung. Mit Spannung wird erwartet, ob und wie sich
Griechenland nun wieder an den Finanzmärkten Geld leihen kann.
Zeitdruck besteht nicht: Das Land verlässt den Rettungsschirm mit
Rücklagen von rund 24 Milliarden Euro und könnte sich notfalls knapp
zwei Jahre lang selbst finanzieren.

Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron lobte den Mut und
die Würde der Griechen. «Frankreich bleibt an seiner Seite, damit wir
gemeinsam mit unseren Partnern die Zukunft der Europäischen Union
aufbauen können», schrieb Macron via Twitter. Sein sozialistischer
Amtsvorgänger François Hollande hatte sich gegen einen «Grexit», al
so
einen Austritt des Landes aus der Eurozone eingesetzt, und war in der
Griechenland-Krise auch auf Distanz zum harten Kurs in Berlin
gegangen.

Eurogruppen-Chef Mario Centeno gab sich zuversichtlich, dass
Griechenland tatsächlich finanziell auf eigenen Beinen stehen kann.
Ganz anders die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel. Sie kritisierte
Centenos Einschätzung als «Fake News» und meinte: «Griechenland ist

nicht gerettet.»

Linke Kritiker sind sich da mit Weidel völlig einig, darunter der
frühere griechische Finanzminister Gianis Varoufakis, der 2015 ebenso
spektakulär wie vergeblich zum Aufstand gegen die Vorgaben der
Gläubiger blies. Der Staat sei noch immer pleite, die privaten Leute
seien ärmer geworden, Firmen gingen noch immer bankrott und das
Bruttosozialprodukt sei um 25 Prozent gesunken, kritisierte er in der
«Bild»-Zeitung.

Tatsächlich ächzen viele Griechen unter den täglichen Folgen der
Sparprogramme und spüren nichts von der Stabilisierung, die sich in
den Statistiken spiegelt: Haushaltsüberschüsse, Wachstum, sinkende
Arbeitslosigkeit. Diese liegt eben trotzdem noch bei 19,7 Prozent.
Viele Bürger haben seit 2010 rund ein Viertel ihres Einkommens
verloren. Gut 400 000 Menschen sind ausgewandert, darunter Tausende
Ärzte und Ingenieure.

Andererseits: Der Tourismus boomt, und nicht alle haben den Mut
verloren. «Unsere Mentalität bleibt so wie sie war: Optimismus und
gute Laune trotz aller Schwierigkeiten», sagte Giannis Kapasakalis,
Direktor einer der größten Reiseagenturen auf der Touristeninsel
Kos.