EU-Gipfel: Kurz will endgültige Abkehr von Quotenlösung bei Asyl

18.10.2018 14:13

Der EU fallen Lösungen für schwelende Themen zunehmend schwer. Nun
prescht der österreichische Ratsvorsitz in der Migrationspolitik vor.
Ist das der Ausweg aus der Sackgasse?

Brüssel (dpa) - Nach jahrelangem Stillstand im EU-Asylstreit fordert
Österreich, die Pflicht zur Aufnahme von Flüchtlingen für alle
Mitgliedstaaten endgültig fallen zu lassen. Nötig sei ein Ausweg aus
der Sackgasse, sagte der Kanzler und derzeitige EU-Ratsvorsitzende
Sebastian Kurz am Donnerstag beim Gipfel in Brüssel. Dort wollte er
mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und den übrigen EU-Kollegen
Kompromisslinien in der Migrationspolitik suchen, aber auch bei den
stockenden Reformen der Eurozone.

In beiden Feldern geht seit Monaten nichts voran. Die
Gipfelbeschlüsse gingen auf Kurz' Vorschlag noch nicht ein, sondern
bekräftigten lediglich einige konsensfähige Punkte. Dazu zählt, dass

der Kampf gegen Menschenschlepper verstärkt werden müsse. Beim Ausbau
der Grenzschutzagentur Frontex sollen gemeinsame Standards des
Außengrenzschutzes gesichert werden. Einig war man sich darin, dass
die EU sich besser gegen Cyber-Attacken und Angriffe mit Chemiewaffen
wappnen müsse. Zu den seit mehr als einem Jahr vorbereiteten
Eurozonen-Reformen waren von Anfang an keine Beschlüsse geplant.

Zum Gipfelauftakt am Mittwochabend war beim Thema Brexit kein
Durchbruch gelungen. Die 27 bleibenden EU-Staaten beklagten, dass bei
den Verhandlungen für einen Austrittsvertrag mit Großbritannien die
entscheidenden Fortschritte immer noch fehlten. Ein erwogener
Sondergipfel im November wurde nicht beschlossen, sondern lediglich
die Fortsetzung der Gespräche festgelegt. Damit bleibt es bei der für
Wirtschaft und Bürger auf beiden Seiten entnervenden Hängepartie.

In der Brexit-Frage treten die 27 bleibenden Staaten geschlossen
gegen Großbritannien auf - bei anderen wichtigen EU-Themen sind sie
jedoch tief zerstritten, vor allem in Grundsatzfragen der
Flüchtlingspolitik. Ein EU-Gipfel im Juni hatte zwar unter anderem
die Einrichtung von «kontrollierten Zentren» in der EU und
sogenannten Ausschiffungsplattformen in Nordafrika beschlossen. Eine
Umsetzung ist jedoch nicht absehbar.

Der luxemburgische Ministerpräsident Xavier Bettel sagte zu den
«Ausschiffungsplattformen»: «Jeder findet es eine tolle Idee, aber
keiner will sie bei sich haben. Das macht es schon kompliziert.» Die
gewünschte engere Zusammenarbeit mit nordafrikanischen Staaten wie
Ägypten sei komplizierter als gedacht. Bettel pochte auf Solidarität
zwischen den EU-Staaten, die auch Luxemburg hochhalte: «Man kann
nicht in Europa nur Vorteile sehen und, wenn es dann um Solidarität
geht, sagen: Ich will es nicht.»

Kanzler Kurz will die Idee der Solidarität nun aber neu fassen,
jenseits der verpflichtenden Quoten für Länder. Der «Weg der
Solidarität» bedeute, «dass jeder einen Beitrag leistet - dort, wo er

das kann und dort, wo er sinnvoll ist», meinte Kurz. Gegen die Idee,
dass Länder gar keine Menschen aufnehmen, hatte sich unter anderem
Deutschland in der EU-Debatte lange gesperrt. Bei östlichen
EU-Ländern, die sich gegen Aufnahmequoten sperren, rennt Kurz
hingegen offene Türen ein. «Es zeigt, dass sie verstanden haben, in
welche Richtungen die ganze EU nun gehen sollte», sagte der polnische
Ministerpräsident Mateusz Morawiecki.

Thema am Rande des Gipfels war der Streit Italiens mit der
EU-Kommission wegen des Haushalts für 2019, der deutlich mehr neue
Schulden vorsieht als zuvor zugesagt. Die EU-Kommission prüft
derzeit, ob das Zahlenwerk die Regeln der Eurozone einhält. Der
deutsche Kommissar Günther Oettinger hat bereits offen Zweifel
angemeldet.

Kurz sagte, er sei ein Verfechter der Maastricht-Kriterien, die das
Haushaltsdefizit und die Gesamtverschuldung der Eurostaaten deckeln.
Diese «verhindern eine Überschuldung von Staaten, die gefährlich fü
r
die Staaten, aber vor allem auch gefährlich für ganz Europa sein
kann», sagte der Kanzler. Auch EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani
sagte, als Italiener bewertete er das Budget aus Rom kritisch.

Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte äußerte Verständn
is
für die Vorbehalte. «Mir ist vollkommen bewusst, dass das kein
Haushaltsentwurf ist, den sich die Kommission erhofft hat», sagte
Conte. «Wir werden natürlich auf die kritischen Einwände antworten.
»
Entscheidend für Italien sei die Wachstumsperspektive. Kanzlerin
Merkel habe sich «sehr beeindruckt» von den in Rom geplanten
Strukturreformen gezeigt. Merkel äußerte sich zu Beginn des zweiten
Gipfeltags zunächst nicht.