Brüssel wie Berlin? Auch beim EU-Gipfel gelingt Merkel wenig Von Thomas Lanig und Michel Winde, dpa

18.10.2018 17:50

Es ist noch nicht lange her, da war die deutschen Kanzlerin die
starke Frau Europas. Diesmal bringt Angela Merkel auf dem EU-Gipfel
wenig zustande. Das liegt aber nicht nur an ihr. Immerhin ist die
Stimmung besser als zuletzt in Berlin.

Brüssel (dpa) - Das hat es noch nicht gegeben bei einem EU-Gipfel.
Ohne ein Wort für die Kameras und wartende Journalisten verlässt
Kanzlerin Angela Merkel am Abend die Konferenzstätte - um wenig
später und bei bester Laune mit drei Herren auf dem schönen Grand
Place von Brüssel das Glas zu heben. «Spontan» und «zufällig» s
ei das
Treffen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Luxemburgs Premier
Xavier Bettel und Belgiens Ministerpräsident Charles Michel zustande
gekommen, heißt es am nächsten Morgen. Gab es etwas zu feiern?
Eigentlich nicht, eher im Gegenteil.

Jedenfalls blieben die Resultate dieses Oktober-Gipfels vor allem
beim Brexit klar hinter den Erwartungen zurück. Besorgniserregend ist
dabei, dass diese Ergebnislosigkeit zur Routine zu werden scheint.
Die in Berlin durch Koalitionsgezänk und Autoritätsverlust in der
eigenen Partei angeschlagene Kanzlerin kann es wohl auch in Brüssel
nicht mehr richten. Brexit - fünf Monate vor dem Ausscheiden der
Briten aus der EU kein Vertrag in Sicht. Flüchtlingspolitik - seit
drei Jahren kaum Fortschritt. Stabilisierung der Eurozone - mal
wieder aufgeschoben.

Wurde ein paar Tage vorher noch über eine lange Nachtsitzung von
Mittwoch auf Donnerstag und die Chance auf einen Durchbruch
spekuliert, geht es beim Thema Brexit dann unerwartet schnell und
ergebnislos zu Ende. Erst spricht die britische Premierministerin,
sie hat keine Neuigkeiten mitgebracht. Ungeklärt immer noch die
entscheidende Frage, wie Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitglied
Irland und dem britischen Nordirland verhindert werden können.

Keine Fragen an Theresa May, keine Reaktionen, nach 15 Minuten
verlässt sie den Raum. Dann sind die übrigen 27 unter sich. Zwei
Stunden später gibt es auch hier nichts mehr zu sagen. Zeit für ein
Bier - oder ein Glas Wein auf dem Grand Place. Merkel sagt später,
mit der Irland-Frage gelte es «eine intellektuell spannende Aufgabe
zu lösen». Man kann auch sagen: Die Lösung ist extrem schwierig.

Wie verabredet betonen am Ende alle das Positive. Ratspräsident
Donald Tusk sagt, die Stimmung sei viel besser als beim letzten
Gipfel in Salzburg gewesen. Dies sei zwar eher Bauchgefühl als
rationale Einschätzung. «Aber Sie wissen ja: Emotionen sind wichtig
in der Politik.» Auf der Suche nach Lobenswertem hat auch
Parlamentspräsident Antonio Tajani ein Detail bei May ausgemacht:
«Ihre Körpersprache war positiver als in der Vergangenheit.»

Gute Stimmung allein bringt jedoch keine Beschlüsse. Zuletzt gab es
bei den EU-Gipfeln nur selten konkrete Ergebnisse. Konsens erzielen
die Staats- und Regierungschefs nur noch unter größtem Druck. Wie im
Juni, als sie sich - auch unter dem Eindruck des deutschen Streits
über die Zurückweisung von Migranten an der Grenze - auf eine vage
Verschärfung der Asylpolitik einigten. Rund 13 Stunden dauerte es,
ehe es gegen 4.30 Uhr am Morgen endlich Ergebnisse gab. Merkel hatte
sich nochmal aufgebäumt und konnte im Kreise ihrer Kollegen etwas
bewirken.

Damals kam der Druck auch noch von einer zweiten Seite: Italien
drohte, ohne Entgegenkommen beim Thema Asyl die Gipfelerklärung
platzen zu lassen. Geschehen ist seit dieser denkwürdigen Gipfelnacht
allerdings wenig. Man hat sich etwas Luft verschafft - mehr nicht.
Mit den sogenannten Ausschiffungsplattformen in Nordafrika geht es
ebenso wenig voran wie mit den «kontrollierten Zentren» innerhalb der
EU. Auch das Rückführungsabkommen zwischen Deutschland und Italien
liegt immer noch auf Eis.

Es regiert der Stillstand. Da kommen die Twitter-Bilder vom
nächtlichen Umtrunk auf dem Grand Place gerade recht. Und wirken ein
bisschen inszeniert: Deutschland, Frankreich, Luxemburg und Belgien -
vier der sechs Gründerstaaten der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft sitzen da zusammen. Nur Italien und die
Niederlande fehlen. Der harte Kern jedoch hält zusammen. Für die
großen Reformen reicht das nicht.