EU-Gipfel der Minischritte - beim Brexit und bei der Flüchtlingsfrage

18.10.2018 19:00

Erst sieht es nach einem heftigen Rückschlag im Ringen um einen
geregelten EU-Austritt Großbritanniens aus. Doch am Ende hört sich
dann doch alles etwas rosiger an als gedacht.

Brüssel (dpa) - In die völlig blockierten Brexit-Verhandlungen kommt
doch wieder etwas Bewegung. Beim EU-Gipfel in Brüssel zeigte sich die
britische Premierministerin Theresa May am Donnerstag offen für eine
längere Übergangsphase nach dem für 2019 geplanten EU-Austritt - ein

EU-Vorschlag, der im Idealfall einen Kompromiss anbahnen könnte. Ob,
wann und wie dies gelingt, blieb aber nach dem zweitägigen EU-Treffen
offen. Auch bei der Asylpolitik und möglichen Reformen der Eurozonen
kam die EU kaum weiter.

Topthema war der für März 2019 geplante EU-Austritt Großbritanniens.

Bundeskanzlerin Angela Merkel räumte ein, dass noch keine Lösung in
Sicht sei: «Ich glaube nur, wo ein Wille ist, da sollte auch ein Weg
sein.» Alle 27 bleibenden EU-Staaten wollten eine Einigung mit
Großbritannien. EU-Ratschef Donald Tusk äußerte sich am Ende
überraschend optimistisch. «Ich glaube, wir sind näher an einer
endgültigen Lösung und einem Abkommen», sagte Tusk.

Blockiert ist eine Einigung derzeit wegen der Irland-Frage: Sowohl
die EU als auch Großbritannien wollen Kontrollen und Schlagbäume an
der Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland
aus politischen Gründen vermeiden. Sie suchen allerdings schon mehr
als ein Jahr vergeblich eine Lösung. Um Zeit für eine dauerhafte
Regelung zu gewinnen, hatte die EU die Verlängerung der geplanten
Übergangsphase nach dem Brexit ins Gespräch gebracht. Statt bis Ende
2020 könnte sie ein Jahr länger dauern.

Dass May den Vorschlag nicht vom Tisch wischte, weckte allerdings
sofort Widerstand der kategorischen Brexit-Befürworter in London. Sie
wollen den Austritt so schnell und die Trennung zur EU so klar wie
möglich. Ex-Außenminister Boris Johnson und der ehemalige
Brexit-Minister David Davis warnten May im «Daily Telegraph» davor,
Großbritannien im «Fegefeuer einer andauernden
Zollunion-Mitgliedschaft» zu halten.

May konterte, es ginge ja nur um einige Monate und es handele sich
auch nur um eine Notfalloption - die von der EU geforderte Garantie
für offene Grenzen in Nordirland. Sie sei sicher, dass dieser
sogenannte Backstop letztlich nicht gebraucht werde. Zum
Verhandlungsstand sagte May: «Es liegt eine Menge harte Arbeit vor
uns, und es wird weitere schwierige Momente geben. Aber ich bin
überzeugt, wir werden ein gutes Abkommen zustande bekommen.»

Bei zwei anderen großen Gipfel-Themen - der Asylpolitik und den
geplanten Reformen der Eurozone - kamen die Staats- und
Regierungschefs ebenfalls nur Minischritte voran. Nach jahrelangem
Stillstand im EU-Asylstreit machte Österreich den Vorstoß, die
Pflicht zur Aufnahme von Flüchtlingen für alle Mitgliedstaaten
endgültig fallen zu lassen. Der Kanzler und derzeitige
EU-Ratsvorsitzende Sebastian Kurz warb stattdessen dafür, «dass jeder
einen Beitrag leistet - dort, wo er das kann und dort, wo er sinnvoll
ist».

Kanzlerin Merkel nannte das Konzept aber «ein bisschen zu einfach».
Damit könnte sich jeder EU-Staat aussuchen, in welcher Weise er sich
in der Migrationspolitik engagieren wolle. Die Hauptankunftsstaaten
wie Italien würden alleine gelassen, warnte Merkel.

In die Gipfelbeschlüsse ging Kurz' Vorschlag nicht ein. Sie
bekräftigten einige konsensfähige Punkte wie den Kampf gegen
Menschenschlepper und verstärkte Abschiebungen. Einig waren sich die
EU-Staaten darin, dass sich die Gemeinschaft besser gegen
Cyber-Attacken und Angriffe mit Chemiewaffen wappnen müsse.

Zu den seit mehr als einem Jahr vorbereiteten Eurozonen-Reformen
waren von Anfang an keine Beschlüsse geplant. Merkel sagte aber, alle
Beteiligten wollten bis Dezember ein Paket schnüren mit einer
Bankenunion, einer Roadmap zur Einlagensicherung sowie Fortschritten
im Rahmen der Kapitalmarkt-Union. Der französische Präsident Emmanuel
Macron forderte mehr Tempo bei den Arbeiten auf Ministerebene.

Thema am Rande des Gipfels war auch der Streit Italiens mit der
EU-Kommission wegen des Haushalts für 2019, der deutlich mehr neue
Schulden vorsieht als zuvor zugesagt. Die EU-Kommission prüft
derzeit, ob das Zahlenwerk die Regeln der Eurozone einhält. Sie hat
bereits Zweifel angemeldet. Der italienische Ministerpräsident
Giuseppe Conte äußerte Verständnis für die Vorbehalte und sagte zu,

auf die kritischen Einwände zu antworten. Merkel meinte, notwendig
sei jetzt ein «redlicher und guter Dialog».