Gegen Plastikflut: EU-Parlament will Verbot von Strohhalmen und Co. Von Violetta Heise, dpa

24.10.2018 18:20

Plastik ist praktisch und günstig in der Herstellung. Kein Wunder,
dass Kunststoffprodukte oft nur einmal benutzt und dann weggeworfen
werden - mit schlimmen Folgen für die Umwelt. Das EU-Parlament will
nun Strohhalme, Wattestäbchen und andere Erzeugnisse verbieten.

Straßburg (dpa) - Cocktails trinken mit Plastikstrohhalm? Picknicken
mit Plastikbesteck? Das dürfte bald der Vergangenheit angehören -
denn die EU will zum Schutz von Umwelt und Meerestieren bestimmte
Kunststoffprodukte verbieten. Die Kommission in Brüssel hatte im Mai
einen Vorschlag zur Eindämmung von Plastikmüll vorgelegt. Das
EU-Parlament verschärfte diese Ideen in einer Abstimmung am Mittwoch
nun zum Teil - etwa mit einer längeren Verbotsliste.

Nun muss ein Kompromiss mit den Mitgliedstaaten gefunden werden.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze ist schon mal dafür, wie sie
der «Rheinischen Post» sagte: Deutschland solle «mit starker Stimme
»
für das Verbot von überflüssigem Einweg-Plastik eintreten. Klappt es

mit dem Kompromiss wie geplant im kommenden Jahr, träten die neuen
Regeln spätestens 2021 in Kraft. Aus den Reihen der Mitgliedstaaten
gibt es bislang keinen grundsätzlichen Widerstand. Das Parlament und
die EU-Kommission schlagen neben Verboten noch eine ganze Palette an
anderen Ideen vor, mit denen die Plastikflut eingedämmt werden soll.

- Für Verbraucher am deutlichsten spürbar wären aber wohl die
geplanten VERBOTE VON PLASTIKPRODUKTEN, die nur einmal benutzt
werden. Darunter fallen Strohhalme, Plastikgeschirr und -besteck,
Wattestäbchen und Ballonhalter. Das EU-Parlament fügte dieser Liste
noch weitere Produkte hinzu: Fastfood-Boxen aus aufgeschäumtem
Kunststoff und das sogenannte Oxoplastik, das als biologisch abbaubar
vermarktet wird, aber Kritikern zufolge in Mikroplastik zerfällt.

Verbannt werden sollen dabei nur Gegenstände, für die es aus Sicht
der EU-Kommission bereits Alternativen gibt. Als Ersatz für
Plastik-Trinkhalme kommen zum Beispiel solche aus Papier oder
wiederverwendbare aus härterem Kunststoff in Frage. Wattestäbchen
gibt es auch mit Holz oder Pappe, Ballonhalter aus Metall,
Einmal-Besteck aus Holz.

- MINDERUNGSZIELE sollen die EU-Staaten einführen
für Plastikprodukte, die bislang nicht ohne Weiteres durch andere
Materialien ersetzbar sind. Das betrifft vor allem Behälter für
Lebensmittel: zum Beispiel Plastikbecher, Boxen für Sandwiches sowie
Verpackungen für Früchte, Gemüse, Desserts oder Eis. Das Parlament
fordert, dass der Verbrauch solcher Verpackungen bis 2025 um ein
Viertel sinkt. Wie das geschafft wird, bleibt den Mitgliedstaaten
überlassen. Ein Ansatz wäre, dass Einweg-Plastikverpackungen künftig

nur noch gegen Geld abgegeben werden. Die Mitgliedstaaten könnten
auch für Alternativen werben.

Alle Mitgliedstaaten sollen zudem bis 2025 mindestens 90 Prozent der
Plastik-Getränkeflaschen zur Wiederverwertung sammeln, etwa mit Hilfe
eines Einwegpfands wie in Deutschland.

- Ein weiterer Ansatz ist die AUFKLÄRUNG DER VERBRAUCHER. Dazu sollen
künftig auf vielen Verpackungen Hinweise stehen: zur richtigen
Entsorgung und zu den potenziellen Schäden, die das Produkt in der
Umwelt anrichten könnte. Solche Warnhinweise sollen zum Beispiel für
Binden, Tampons und Feuchttücher kommen.

- Das EU-Parlament will zudem ZIGARETTENABFALL REDUZIEREN. In den
Filtern ist oft Kunststoff enthalten, ein einziger Stummel kann bis
zu 1000 Liter Wasser verunreinigen. Die Abgeordneten wollen, dass die
Müllmenge aus plastikhaltigen Zigarettenfiltern bis 2030 um 80
Prozent sinkt. Es gibt auch Filter ohne Plastik.

- Zudem ist eine KOSTENBETEILIGUNG DER HERSTELLER für das Säubern der
Umwelt vorgesehen. Bisher zahlen dafür vor allem die Steuerzahler
oder die Tourismusbranche.

All diese Vorschläge sollen dabei helfen, die Plastikflut in den
Meeren einzudämmen. Weltweit, aber auch in Europa, werden enorme
Mengen Kunststoff genutzt und anschließend weggeworfen. Nur knapp ein
Drittel des Plastikmülls wird nach Angaben der EU-Kommission
eingesammelt und wiederverwertet. Ein Großteil des Rests landet auf
Müllkippen oder in der Umwelt.

Plastik zerfällt sehr langsam und häuft sich besonders im Meer und an
Stränden. Bis zu 85 Prozent aller in der EU angespülten Abfälle sind

aus Kunststoff - dabei handelt es sich in etwa der Hälfte der Fälle
um weggeworfene Einwegprodukte. Plastikspuren in Fischen gelangen
auch auf den Teller und in die Nahrungskette.

Über Fraktionsgrenzen hinaus bekamen die Abstimmungsergebnisse viel
Applaus. «Diese EU-Gesetzgebung wird sichtbare Verbesserungen bringen
und dabei helfen, dass weniger Wegwerfplastik in den Weltmeeren
landet», sagte der SPD-Abgeordnete Jo Leinen. Der CDU-Parlamentarier
Karl-Heinz Florenz sagte, nun werde die Industrie zu Innovationen
gedrängt, damit alternative Materialien auf den Markt kommen.

Auch der Kommunalverband VKU zeigte sich zufrieden - unter anderem
damit, dass auch Plastikhersteller an den Entsorgungskosten beteiligt
werden sollen. Bislang zahlen dafür laut Verband die Bürger über
Straßenreinigungsgebühren.

Aus Sicht von Grünen-Parteichef Robert Habeck reichen die
europäischen Pläne jedoch nicht aus. Sie könnten nur der Anfang sein,

sagte er der Deutschen Presse-Agentur: «Um den Verbrauch von Plastik
zu reduzieren, brauchen wir eine radikale Kursänderung.» Die
FDP-Bundestagsabgeordnete Judith Skudelny sprach von Symbolpolitik.
«Mit Makkaroni statt Plastik-Strohhalmen trinkende EU-Bürger machen
das Meer nicht sauberer», erklärte sie. Sinnvoller sei es
beispielsweise, Mülldeponien für Plastik in der EU zu verbieten.

Weitergehende Maßnahmen wie eine Plastiksteuer mahnte die
Grünen-Europaabgeordnete Rebecca Harms an. Greenpeace sieht vor allem
eine Schwachstelle in den Vorschlägen: Die Einwegplastik-Definition
sei zu eng, kritisiert Meeresbiologe Thilo Maack. Damit öffne sich
ein Schlupfloch für die Industrie: Die Konzerne könnten die
Reduktionsziele schlicht ignorieren, wenn sie ihre Produkte als
wiederverwendbar kennzeichneten.

Die Plastikindustrie hingegen warnt vor Schnellschüssen. Hier würden
wichtige Gesetze durchgepeitscht, ohne die Folgen abzuschätzen,
erklärte der europäische Verpackungsverband pack2go. Es drohten
Einbußen im Lebensmittel-Sektor oder Probleme bei der
Lebensmittelhygiene, wenn der Plastikverbrauch drastisch gesenkt
werde. Bislang nutzten Millionen von Europäern täglich Verpackungen
für Essen oder Getränke zum Mitnehmen, betonte der Verband.