Ringen um den Brexit-Deal: Spanien droht mit Nein

20.11.2018 15:28

Offiziell unterstützt die EU einmütig den Brexit-Kompromiss mit
Großbritannien. Doch nun kommen Drohungen aus Madrid. Und auch die
bedrängte britische Regierungschefin will noch einmal reden.

Brüssel/London/Madrid (dpa) - Wenige Tage vor dem Brexit-Sondergipfel
wird hinter den Kulissen noch heftig um das Vertragspaket zum
EU-Austritt Großbritanniens gerungen. Die britische Premierministerin
Theresa May will am Mittwoch noch einmal mit EU-Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker reden. Zudem verlangt Spanien im Austrittsvertrag
eine Klarstellung zu Gibraltar und droht mit Veto.

Ein Sprecher der EU-Kommission bog alle Fragen dazu am Dienstag ab
und erklärte nur: «Wir kennen die Sorgen der spanischen Regierung.
Wir arbeiten daran.» Der Generalsekretär der Kommission, Martin
Selmayr, sagte in einer Anhörung des EU-Parlaments, diese Woche müsse
man den Brexit «nach Hause bringen». Und er warnte: «Es ist immer
noch nicht sicher, ob wir am Sonntag zu einer Einigung kommen.»

Unterhändler der Europäischen Union und Großbritanniens hatten sich
vorige Woche auf ein Abkommen zum Brexit am 29. März 2019 geeinigt,
das bei einem EU-Sondergipfel am Sonntag offiziell gebilligt werden
soll. Bis dahin soll zudem eine «politische Erklärung» von etwa 20
Seiten zu den künftigen Beziehungen beider Seiten ausformuliert sein.
Offiziell wird nur noch über diese Erklärung verhandelt. Am Montag
hatte es noch geheißen, die EU-Staaten stünden hinter dem
Austrittsvertrag und er solle nicht noch einmal aufgeschnürt werden.

Doch betonte der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez am
Dienstag, Spanien werde mit «Nein» votieren, wenn der Artikel 184 des

Deals nicht überarbeitet und das Abkommen am Sonntag in seiner
jetzigen Form zur Abstimmung unterbreitet werde. Dieser Artikel
befasst sich mit den geplanten Verhandlungen über die künftigen
Beziehungen beider Seiten. Spanien fürchtet offenbar Festlegungen zum
künftigen Status von Gibraltar.

Das Gebiet am Südzipfel der Iberischen Halbinsel steht seit 1713
unter britischer Souveränität, wird aber von Spanien beansprucht.
«Gibraltar gehört nicht zum Vereinigten Königreich, es wird von ihm

repräsentiert, aber es gehört ihm nicht», betonte Sánchez. Spanien

forderte eine Klarstellung im Abkommen, dass künftige Verhandlungen
über die Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien von
Verhandlungen über den Status von Gibraltar getrennt werden müssten.

Der Sprecher der EU-Kommission, Margaritis Schinas, ließ wiederholte
Fragen unbeantwortet, ob der Vertragstext doch noch einmal geändert
werden könnte. Er werde keinen Kommentar zu laufenden Verhandlungen
mit den Mitgliedsstaaten abgeben, sagte er. Über die politische
Erklärung werde noch verhandelt und der Prozess bis Sonntag
weitergehen.

Der Sprecher ließ auch offen, was genau Juncker und May am
Mittwochnachmittag besprechen. Das Treffen diene der Vorbereitung des
Sondergipfels am Sonntag. Es solle «sicherstellen, dass wir in der
Lage sind, den Vertragsentwurf zu bestätigen und die politische
Erklärung zu billigen», sagte Schinas.

May kämpft wegen des Brexit-Abkommens mit heftigem Widerstand aus
ihrer konservativen Partei und der nordirischen DUP, die ihre
Regierung stützt. Auch die Opposition erhebt Protest gegen die nun
ausgehandelte Lösung. Wie May im Parlament eine Mehrheit zimmern
kann, ist ungewiss. Zudem hängt über ihr die Drohung eines
Misstrauensvotums in der eigenen Fraktion.

Ihre Gegner um den einflussreichen Hinterbänkler und Brexit-Hardliner
Jacob Rees-Mogg hatten allerdings auch am Dienstag noch nicht die
nötige Unterstützung dafür beisammen. Nötig wären 48 entsprechend
e
Briefe von Tory-Politikern. «Geduld ist eine Tugend, Tugend ist eine
Zier», sagte Rees-Mogg. «Wir werden sehen, welche Briefe zu gegebener
Zeit kommen.» Die konkrete Zahl der bislang eingegangenen Anträge
wird geheim gehalten.

Nach Angaben eines Komitee-Vorsitzenden, der die Briefe
entgegennimmt, ist es jedoch ohnehin sehr wahrscheinlich, dass May
eine solche Abstimmung gewinnen würde. Sollte sie tatsächlich als
Siegerin hervorgehen, wäre ihre Position zunächst gefestigt. Denn
eine Misstrauensabstimmung kann nur einmal pro Jahr stattfinden.

Die DUP verweigerte am Montagabend bei Abstimmungen über ein
Finanzgesetz weitgehend ihre Unterstützung. Die Regierung konnte
dennoch ihre Vorhaben durchbringen. Britische Medien werteten das
Verhalten der Partei als Warnschuss.

Bekommt das Brexit-Vertragspaket nicht die nötige Unterstützung - sei
es im Kreis der EU-Länder oder bei der Ratifizierung im britischen
und europäischen Parlament -, wächst die Gefahr eines ungeregelten
Austritts Ende März. Dieser brächte vermutlich zunächst Chaos für
Bürger und Unternehmen. Finanzminister Olaf Scholz verwies am
Dienstag im Bundestag noch einmal auf deutliche Risiken wegen des
Brexits und verlangte besondere Haushaltsdisziplin der 27 bleibenden
EU-Länder.