«Global Champions» aus Europa - Mit Fusionen zum Erfolg? Von Matthias Arnold und Alkimos Sartoros, dpa

16.01.2019 16:09

Die wachsende Konkurrenz aus China bereitet der hiesigen Industrie
zunehmend Sorgen. Manch einer hält europäische Großkonzerne für ein

probates Gegenmittel. Die geplante Zugfusion zwischen Siemens und
Alstom wird hier zum Testfall.

München/Brüssel/Paris (dpa) - Europa gegen den Rest der Welt? In
Brüssel spielt sich dieser Tage ein zukunftsweisender
Industrie-Streit ab. Die Frage: Braucht es europäische Großkonzerne,

um im globalen Wettbewerb mithalten zu können? Zum Testfall für diese

Frage wird die geplante Fusion zwischen dem Technologiekonzern
Siemens und dem französischen Zughersteller Alstom. Sie wollen den
größten Hersteller von Zug- und Signaltechnik in Europa schaffen.
Doch der Plan könnte scheitern.

Einiges deutet darauf hin, dass die EU-Kommission nicht bereit ist,
den europäischen Binnenwettbewerb zu gefährden, um mit der Schaffung
eines solchen Großkonzerns der globalen Konkurrenz zu begegnen. Die
Konkurrenz trägt hierbei den Namen des weltweit größten
Zugherstellers aus China, CRRC, der seine Fühler längst auch
nach Europa ausstreckt.

«Mit CRRC entwickelt sich ein starker chinesischer Wettbewerber, dem
man auch von der Gesamtgröße her etwas entgegensetzen sollte», sagt
Maria Leenen, Geschäftsführerin des Branchenanalysten für Bahn- und
Logistik, SCI Verkehr. «Es braucht aus meiner Sicht deshalb
tatsächlich einen europäischen großen Player».

Mit diesem Argument versuchen Siemens und Alstom seit vielen Monaten
die EU-Kommission zu überzeugen. «Wir brauchen für Deutschland und
Europa eine ganzheitliche und differenzierte Bewertung zum Umgang mit
China. Das schließt die politische und wirtschaftliche Einschätzung
der großen Chancen aber auch die Herausforderungen mit ein», sagte
Siemens-Chef Joe Kaeser vergangene Woche der Deutschen
Presse-Agentur. Sowohl die deutsche als auch die französische
Regierung befürworten die Fusion.

«Eine Ablehnung der EU-Kommission wäre ein wirtschaftlicher Irrtum
und auch ein politischer Fehler», sagte Frankreichs
Regierungssprecher Benjamin Griveaux am Mittwoch in Paris in
ungewohnt deutlichem Ton.

EU-Kommissarin Margrethe Vestager lehnt die Schaffung eines
europäischen Großkonzerns nicht per se ab. «Es ist nur so, dass
Champion zu sein in diesen herausfordernden Zeiten mehr bedeuten
muss, als nur eine europäische Flagge zu schwenken», sagte sie
vergangene Woche auf einer Veranstaltung der «Welt» in Berlin. Europa
könne diese Champions nicht mit Fusionen aufbauen, die dem Wettbewerb
schadeten.

Die Kommissarin hat einige Bedenken, dass durch den Zusammenschluss
die Preise zum Nachteil von Millionen von Bahnkunden steigen könnten.
Bislang sind Siemens und Alstom unter anderem bei Regional- und
Nahverkehrszügen harte Widersacher.

Doch auch wenn Vestager in der Sache federführend ist, innerhalb der
EU-Kommission gibt es durchaus Differenzen. In der Vergangenheit
fällte Vestager ihre Entscheidungen weitgehend ohne Scheu vor
politischen Nebenwirkungen. Die US-Digitalriesen Google und Amazon
nahm sie wegen fragwürdigen Wettbewerbsverhaltens ebenso ins Visier
wie den schwedischen Einrichtungsgiganten Ikea. Diesmal könnte sie
aber auch intern auf mehr Widerstand stoßen.

Eine Aussprache unter den 28 EU-Kommissaren bezeichnete
EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici am Dienstag nun als
«ehrliche, offene Diskussion». «Wir wollen die Entwicklungen der
Wirtschaft von morgen mit in Betracht ziehen. Wir sind nicht naiv»,
sagte der französische Sozialist weiter. Die Entscheidung der
Brüsseler Behörde solle «objektiv und strategisch» gefällt werden
-
und nicht auf der Grundlage ideologischer Richtlinien. Die Frist
dafür endet am 18. Februar.

«Unserem Wettbewerbsrecht liegt der Gedanke zugrunde, dass
Unternehmen nicht dadurch Champion werden sollen, dass man ihnen
erlaubt, sich mit Konkurrenten zusammenzuschließen», sagt Daniel
Zimmer, Direktor des Instituts für Handels- und Wirtschaftsrecht an
der Uni Bonn. Im Gegenteil: Weil mit einem solchen Zusammenschluss
der Binnenwettbewerb geschwächt würde, hätten die Unternehmen danach

weniger Anreize zu Innovationen und guter Leistung. «Niemand
garantiert, dass die bei weniger Wettbewerb möglichen Gewinne
wirklich dafür eingesetzt würden, um etwa den chinesischen
Konkurrenten auf Drittmärkten einen schärferen Wettbewerb zu bieten.»


Schon in den 1980er und 1990er Jahren sei mit denselben Argumenten
die Schaffung nationaler Champions gefordert worden. «Aber die
europäische Wirtschaft ist auch deshalb so stark geblieben, weil sie
stets auf den Wettbewerb auch mit ausländischen Dritten gesetzt hat»,
betont Zimmer. Das habe sich bewährt, sonst wären solche Fusionen
schon längst zugelassen worden.

Dass sich zahlreiche Unternehmen in vielen Branchen derzeit einer
wachsenden Konkurrenz aus China ausgesetzt sehen, ist auch ein
selbstgeschaffenes Problem: Jahrelang profitierten europäische und
chinesische Konzerne von strategischen Partnerschaften. Die Europäer
erhielten auf diese Weise Zugang zum riesigen chinesischen Markt -
allen voran die deutsche Autoindustrie. Die Chinesen wiederum bekamen
dafür oft Zugang zu Know-how und Expertise, die sie mit staatlicher
Unterstützung nun nutzen, um wiederum in Europa Fuß zu fassen.

Um dem etwas entgegenzusetzen, bedürfe es neben purer Größe deshalb

auch eine wettbewerbsfähige Kostenstruktur, die durch große Fusionen
gewährleistet werden könne, sagt Leenen vom SCI Verkehr. Den
innereuropäischen Wettbewerb beim Zugbau, der neben der Signaltechnik
einen wesentlichen Teil der Fusionspläne ausmacht, sieht sie durch
die Fusion nicht gefährdet. Konkurrenz gebe es etwa durch Stadler,
Bombardier oder die spanischen Unternehmen Talgo und Caf.

Bei der Signaltechnik wiederum teilt Leenen die Bedenken der
Kommission. Und eine chinesische Konkurrenz sei auf diesem Feld in
absehbarer Zeit nicht zu erkennen. Siemens hat deshalb Veräußerungen
bei der Signaltechnik in Höhe von vier Prozent des Umsatzes zugesagt.
Es ist jedoch fraglich, ob das reicht.

Eine Vorentscheidung könnte in den kommenden Tagen fallen. Lässt die
EU-Kommission ihre Bedenken nicht zumindest teilweise fallen, könnten
Siemens und Alstom die Fusion abblasen. Schaden wird das auf kurze
Sicht keinem der beiden Konzerne. Auf lange Sicht bleibt abzuwarten,
was ihnen dann einfällt, um die chinesische Konkurrenz zu kontern.