Keine Brexit-Sorgen an den Märkten - Wirtschaft hofft und bangt

16.01.2019 07:31

Überraschend kam das Nein des britischen Unterhauses zum
Brexit-Abkommen mit der EU nicht. Die Gefahr eines ungeregelten
Austritts Großbritannien bleibt bestehen.

Frankfurt/Berlin (dpa) - Die harsche Ablehnung des Austrittsabkommens
mit der EU durch das britische Parlament hat die Finanzmärkte zur
Wochenmitte erst einmal kalt gelassen. «Die Märkte bleiben ruhig. Es
hat den Anschein, als seien Händler und Investoren gut vorbereitet
gewesen», sagte Chefstratege Michael McCarthy vom Broker CMC Markets.

Größere Schwankungen gab es vor und nach der Abstimmung vor allem
beim britischen Pfund. Mittlerweile hat sich die Lage aber auch hier
beruhigt. Die britische Währung notiert zum US-Dollar in etwa wieder
auf dem Stand von vor dem Brexit-Votum. «Das zeigt, wie unsicher der
Austrittsprozess bleibt und wie wenig mit der gestrigen Entscheidung
erreicht worden ist», sagte Analyst Craig Erlam vom Broker Oanda.

Der Broker IG taxierte den Dax knapp zwei Stunden vor Handelsstart
0,15 Prozent höher auf 10 908 Punkte. Der britische Leitindex FTSE
100 wurde kaum verändert taxiert. An der Wall Street hatten die
großen Börsenindizes am Vorabend mit Gewinnen geschlossen. In Fernost
melden die Aktienmärkte überwiegend leichte Aufschläge.

Der Chef der Deutschen Bank, Christian Sewing, rechnet nun damit,
«dass man den Ausstieg um mindestens drei Monate verschieben wird»,
wie er beim Neujahrsempfang der Deutschen Bank am Dienstagabend in
Berlin sagte. «Denn auch die übrige EU würde bei einem harten Brexit

einen halben Prozentpunkt ihrer Wirtschaftsleistung verlieren - zu
groß wären die Verwerfungen für den Handel, die
Finanzierungsbedingungen und das Vertrauen der Investoren.»

Die wichtigsten deutschen Wirtschaftsverbände sehen derweil die
Ablehnung des Brexit-Abkommens durch das britische Parlament als
schlechte Nachricht für die Unternehmen hierzulande. Der
Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnte vor dramatischen
Folgen. «Unternehmen diesseits und jenseits des Ärmelkanals hängen
weiter in der Luft. Ein chaotischer Brexit rückt in gefährliche
Nähe», sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang am Dienstagabend

in Berlin. Es drohe eine Rezession in der britischen Wirtschaft, die
auch an Deutschland nicht unbemerkt vorüberziehen würde. Jede
Unklarheit gefährde Zehntausende von Unternehmen und Hunderttausende
von Arbeitsplätzen in Deutschland und vor allem in Großbritannien.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag betonte, die Unternehmen
müssten sich jetzt verstärkt vorbereiten. «Ohne Abkommen droht der
Brexit völlig ungeregelt abzulaufen», sagte DIHK-Präsident Eric
Schweitzer am Dienstagabend in Berlin. Für die deutsche Wirtschaft
stehe viel auf dem Spiel. Großbritannien sei Deutschlands
fünftwichtigster Handelspartner, das Handelsvolumen betrage 122
Milliarden Euro. Eine mögliche Verschiebung des EU-Austritts von
Großbritannien um einige Wochen würde die Unklarheit wohl nur
aufschieben, meinte Schweitzer.

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) bezeichnete die Ablehnung
des Brexit-Abkommens in London als «politisch fahrlässig». Es drohten

schwerwiegende Konsequenzen für Bürger und Unternehmen in
Großbritannien und Europa, sagte VDA-Präsident Bernhard Mattes. «Ohne

geordnete und praktikable Lösungen für den Wirtschaftsverkehr stehen
auch Jobs in der Automobilindustrie, insbesondere auf der britischen
Seite, auf dem Spiel», betonte Mattes. Alle Beteiligten sollten jetzt
daran arbeiten, einen ungeregelten Brexit noch abzuwenden. Vor diesem
Hintergrund könne die Verschiebung des Austrittsdatums sinnvoll sein.

Ifo-Präsident Clemens Fuest forderte Großbritannien und die EU auf,
die Verhandlungen zu einem Brexit-Abkommen wieder aufzunehmen. «Ein
harter Brexit mit seinen riesigen Kosten muss vermieden werden»,
sagte Fuest. Beide Seiten sollten nun an den Verhandlungstisch
zurückkehren und das Abkommen so anpassen, dass es für beide Seiten
akzeptabel ist. «Alles andere wäre ein nicht akzeptables
Politikversagen.»

Der Ifo-Forscher Gabriel Felbermayr zeigte Verständnis für die
Ablehnung des Brexit-Deals durch das Unterhaus. «Das Nein der
britischen Abgeordneten zum Trennungsabkommen ist absolut
nachvollziehbar, weil es das Vereinigte Königreich auf den Status
einer Handelskolonie herabstufen würde».

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) betonte, die
Entscheidung des britischen Parlaments komme weder überraschend, noch
habe sie die Wahrscheinlichkeit eines ungeregelten Brexits am 29.
März 2019 substanziell erhöht. «Ich erwarte, dass ein
wirtschaftliches Chaos verhindert wird, zum Beispiel durch
Einzelabkommen für eine Übergangsphase», sagte DIW-Präsident Marcel

Fratzscher. Ein zweites Referendum, und somit ein Verbleib in der EU,
sei sogar ein Stück wahrscheinlicher geworden. Sollte es zum «harten
Brexit» kommen, werde die deutsche Wirtschaft zwar getroffen, aber
nicht übermäßig hart und nicht dauerhaft. «Deutsche Unternehmen hab
en
immer wieder gezeigt, dass sie flexibel und schnell auf Schocks
reagieren können», betonte Fratzscher.