Ratlos in Berlin: Kaum Spielraum für Merkel bei Brexit-Drama Von Thomas Lanig, dpa

16.01.2019 16:08

Das Brexit-Desaster rückt immer näher, ein ungeregelter Austritt
Londons aus der EU wird wahrscheinlicher. Was kann Berlin da
ausrichten? Angela Merkel bleibt auch in dieser heiklen Lage ihrem
Politikstil treu. Und sie hat vor allem ein Ziel.

Berlin (dpa) - Entschlossen wirkt die Kanzlerin und gefasst, als sie
an diesem Mittwochmorgen vor die Kameras tritt. Etwas Neues zu sagen
hat sie aber nicht zum Brexit-Drama. «Wir warten jetzt auf das, was
die britische Premierministerin vorschlägt», sagt sie vor dem Raum
2800 des Bundestags. Dort trifft sich der Auswärtige Ausschuss, und
natürlich geht es um die Abstimmungsniederlage von Premierministerin
Theresa May und das Scheitern des Brexit-Deals. «Wir haben noch Zeit,
zu verhandeln», sagt Angela Merkel. Kein böses Wort in Richtung
London, aber eben auch kein konkreter Vorschlag.

«Die Zeit der Spielchen ist vorbei», sagt Außenminister Heiko Maas,
schon etwas zorniger. «Es reicht nicht aus, dass das britische
Parlament entscheidet, wogegen es ist.» Die Briten müssten endlich
sagen, wofür sie sind. Maas erinnert im Deutschlandfunk auch daran,
worum es vor allem geht: um die Gefahr einer harten Grenze zwischen
Irland und dem britischen Nordirland und die Rückkehr des blutigen
Konflikts in der Region. «Das will sicherlich niemand noch mal
heraufbeschwören», sagt Maas.

Besonders drastisch beschreibt der Unions-Europapolitiker Florian
Hahn die Stimmung in Berlin: «Die Abstimmung im britischen Unterhaus
ist bedrückend und lässt uns ratlos zurück», sagt der CSU-Mann. Im

Ausschuss wird die Kanzlerin gefragt, was sie denn nun zu tun
gedenke. Nach Angaben von Teilnehmern spricht sie sich gegen
Neuverhandlungen des Austrittsabkommens aus. Und eine
Fristverlängerung über den 29. März hinaus? «Eine hypothetische
Frage», sagt Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer. Erst müsse May
sagen, was sie will.

Deutlicher wird die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl,
Katarina Barley: Sie schließt Nachverhandlungen aus. Sollte die
britische Regierung aber mehr Zeit benötigen, sei man bereit, den
geplanten Austritt zu verschieben. Auch die Grünen können sich eine
Fristverlängerung vorstellen, aber: Weitere Zugeständnisse wären kein

Brexit mehr, sondern eine «EU à la carte», sagt die Grünen-
Europapolitikerin Franziska Brantner. «Das würde die EU sprengen.»

Ganz offensichtlich will Merkel die Premierministerin nicht
zusätzlich unter Druck setzen. Und die gar nicht selbstverständliche
Einigkeit der verbleibenden 27 EU-Mitglieder nicht mit Alleingängen
riskieren. Es gibt in EU-Kreisen die Lesart, Merkel wäre zu größeren

Zugeständnissen an die Briten bereit gewesen, aber vor allem
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron habe auf einer harten Linie
bestanden.

Erst vor wenigen Tagen ließ die Kanzlerin britische Presseberichte
zurückweisen, wonach sie Theresa May Hilfen angeboten habe, die über
die bisherigen Zusagen der EU hinausgingen. «Die Bundeskanzlerin hat
keinerlei Zusicherungen über das hinaus gemacht, was im Europäischen
Rat im Dezember besprochen wurde und was im Brief von Jean-Claude
Juncker und Donald Tusk niedergelegt ist», sagte ein
Regierungssprecher.

EU-Kommissionspräsident Juncker und Ratspräsident Tusk hatten noch am
Montag gemeinsam versichert, dass die von Brexit-Befürwortern
kritisch gesehene Garantie für eine offene Grenze in Irland, der
sogenannte Backstop, nur eine Rückversicherung sei und möglichst nie
genutzt werden solle. Das hat den Briten nicht gereicht.

Für Merkel bleibt die Geschlossenheit der Rest-EU oberste Priorität.
Groß waren die Sorgen nach dem Brexit-Beschluss von 2016, die Union
könne an dieser Herausforderung zerbrechen und womöglich weitere
Mitglieder verlieren. Dass es dazu nicht gekommen ist, sieht die
Kanzlerin auch als ihren persönlichen Erfolg. Voraussichtlich am
nächsten Montag wird May, wenn sie bis dahin noch im Amt ist, ihren
Plan B vorstellen. Kaum denkbar, dass die Kanzlerin und die
Premierministerin davor nicht noch einmal miteinander telefonieren.