EU-Kompromiss ermöglicht Weiterbau von Nord Stream 2

08.02.2019 23:20

Der Bau der russisch-deutschen Erdgaspipeline Nord Stream 2 ist eines
der umstrittenesten Energieprojekte in Europa. Jetzt haben Gegner und
Befürworter einen Kompromiss vereinbart.

Brüssel (dpa) - In dem erbitterten Streit über die russisch-deutsche
Erdgaspipeline Nord Stream 2 haben sich die EU-Staaten auf einen
Kompromiss verständigt, der den Weiterbau ermöglicht. Demnach könnten

über Änderungen an der EU-Gasrichtlinie zwar strengere Auflagen für
das Milliarden-Projekt beschlossen werden. Zugleich soll aber
sichergestellt werden, dass die Fertigstellung der 1200 Kilometer
langen Leitung von Russland nach Deutschland durch die Ostsee dadurch
nicht bedroht wird.

Auf den letzten Punkt hatte vor allem die Bundesregierung gedrungen.
Sie wollte eine weitreichende Überarbeitung der Richtlinie eigentlich
ganz verhindern, musste sich aber nach einem politischen Kurswechsel
Frankreichs auf Verhandlungen einlassen. Der wichtigste EU-Partner
Deutschlands war überraschend aus dem Lager der Gegner der
Richtlinienänderung in das der Befürworter gewechselt. Frankreich
pochte allerdings am Freitag darauf, dass es schon immer Bedenken zu
Nord Stream 2 gehabt habe und diese auch gegenüber Deutschland
geäußert habe. Berlin und Paris legten schließlich einen gemeinsamen

Kompromissvorschlag vor.

Die Einigung erfolgte am Freitagnachmittag bei einem
Botschaftertreffen in Brüssel. Nach französischen Angaben stimmten 27
der 28 EU-Staaten zu, nur Bulgarien nicht. Bundeskanzlerin Angela
Merkel (CDU) wertete die Einigung trotz der Differenzen mit Paris als
Erfolg Deutschlands und Frankreichs. «Diesen Tag finde ich gut, und
er wäre ohne die deutsch-französische Zusammenarbeit so nicht
erfolgt», sagte sie in Berlin. Wirtschaftsminister Peter Altmaier
sieht den Kompromiss als Beleg für Handlungsfähigkeit Europas.

Frankreich zeigte sich ebenfalls zufrieden. Die Einigung erlaube es,
das Vorhaben unter europäische Kontrolle zu stellen, hieß es aus
Kreisen des Präsidialamtes in Paris. «Eine deutsch-französische Krise

gibt es nicht.»

Polens Regierung verbuchte den EU-Kompromiss auch als Erfolg ihres
Widerstands gegen das Projekt. «Der heutige Durchbruch bei den
Verhandlungen zeigt, dass die Regierung von Ministerpräsident
(Mateusz) Morawiecki eine erfolgreiche Außenpolitik führt und wir
auch die Länder von unseren Gründen überzeugen können, die anfangs

auf der anderen Seite waren», sagte Regierungssprecherin Joanna
Kopcinska am Freitag nach Angaben der Agentur PAP.

Bevor die geplanten Änderungen an der EU-Richtlinie umgesetzt werden,
muss noch das EU-Parlament zustimmen. Ob es dort eine Mehrheit für
das Projekt geben wird, ist unklar, da viele Abgeordnete die Pipeline
eigentlich ganz stoppen wollen.

Die Kritiker von Nord Stream 2 argumentieren, dass die Leitung die
energiepolitische Abhängigkeit Europas von Russland verstärke und den
Interessen osteuropäischer EU-Staaten und Partnerländer wie der
Ukraine schade. Letzteres ist dadurch zu erklären, dass russisches
Gas bislang durch Osteuropa in Richtung Westen geleitet wird. Länder
wie die Ukraine und Polen verdienen daran über sogenannte
Durchleitungsgebühren viel Geld.

Länder wie Polen wollten die Richtlinie deswegen eigentlich so
ändern, dass die bereits im Bau befindliche Leitung von Russland nach
Deutschland über zusätzliche Auflagen gestoppt werden könnte. Mit
Nord Stream 2 sollen jährlich bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas
aus Russland an Drittstaaten wie der Ukraine oder Polen vorbei durch
die Ostsee nach Deutschland transportiert werden können. Rund ein
Viertel der Pipeline ist nach Angaben des Investors OMV bereits
verlegt.

Aus Moskau und Washington gab es zunächst keine Reaktion. Die
USA zählen zu den schärfsten Gegnern von Nord Stream 2 und haben
sogar mit Sanktionen gegen die beteiligten Unternehmen gedroht. Das
Thema dürfte daher bei der Münchner Sicherheitskonferenz in der
nächsten Woche eine Rolle spielen, zu der unter anderen
US-Vizepräsident Mike Pence und der stellvertretende
US-Energieminister Dan Brouillette erwartet werden.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat dagegen bereits in der
vergangenen Woche abgesagt. Sein gemeinsamer Auftritt mit Merkel
sollte eigentlich ein Höhepunkt der Konferenz werden. Die Kanzlerin
trat Spekulationen entgegen, dass die Absage mit aktuellen
Differenzen zu tun haben könnte. «Wir haben eine tägliche
Zusammenarbeit über alle wichtigen europäischen Dossiers», sagte sie.


Auch wenn Macron in München nicht dabei sei, werde es «viele
Zusammentreffen geben, an denen Sie sich überzeugen können, dass der
Geist des Aachener Vertrages lebt», sagte sie auf einer
Pressekonferenz in Berlin. In Aachen war vor zweieinhalb Wochen ein
deutsch-französischer Freundschaftsvertrag unterzeichnet worden, der
die Beziehungen zwischen beiden Ländern auf eine neue Grundlage
stellt. In Kreisen des französischen Präsidialamtes wurde die Absage
damit begründet, dass Macron unter anderem im Inland mit der
nationalen Reformdebatte sehr beschäftigt sei.