Merkel: Einstufung von europäischen Autos als US-Gefahr erschreckend Von Ansgar Haase, Tobias Schmidt und Christiane Jacke, dpa

16.02.2019 16:37

US-Sonderzölle auf deutsche Autos? Präsident Trump droht seit
längerem damit. Alle warten auf eine maßgebliche Einschätzung des
US-Handelsministeriums dazu. Kanzlerin Merkel plaudert die vorab aus
- und äußert sich schockiert.

München/Washington (dpa) - Die Gefahr von US-Strafzöllen auf
europäische Autos wächst. Kanzlerin Angela Merkel kritisierte am
Samstag scharf, dass die US-Regierung offensichtlich europäische
Fahrzeuge als Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA
einstufen will. Das gäbe Präsident Donald Trump die Möglichkeit, neue

Sonderzölle einführen. Besonders betroffen wären davon laut einer
Studie des Münchner ifo Instituts die deutschen Hersteller.

Die bevorstehende Entscheidung des US-Handelsministeriums sei für
Deutschland erschreckend, sagte Merkel am Samstag bei der Münchner
Sicherheitskonferenz. «Wir sind stolz auf unsere Autos. Das dürfen
wir ja auch.» Sie verstehe nicht, wie die Amerikaner deutsche Autos
als Gefahr für die nationale Sicherheit einstufen könnten.

«Diese Autos werden gebaut in den Vereinigten Staaten von Amerika.»
Im US-Bundesstaat South Carolina befinde sich das größte BMW-Werk.
«Nicht in Bayern, in South Carolina», betonte sie. «Ich glaube, es
wäre gut, wir kommen in gute Gespräche miteinander.» Der Wert
europäischer Auto- und Autoteilexporte in die USA wurde zuletzt von
der EU-Kommission auf mehr als 50 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.

Offiziell endet an diesem Sonntag die Frist für eine Entscheidung des
US-Handelsministeriums darüber, ob der Import von Autos und
Zulieferteilen die nationale Sicherheit des Landes beeinträchtigt. In
dem Fall könnte Trump binnen 90 Tagen darüber befinden, ob er
Sonderzölle erheben will. Zuletzt wurden Sonderzölle in Höhe von 25
Prozent ins Gespräch gebracht. Dadurch will Trump das amerikanische
Handelsdefizit abbauen und Jobs in den USA schaffen.

Doch ein solcher Schritt ist auch in den USA umstritten - und nicht
ohne Risiko. Experten warnen, höhere Zölle könnten die Verkaufszahlen

in den USA bremsen und damit letztlich auch Jobs gefährden. Die
US-Autoteile-Industrie mahnt, Sonderzölle seien eine zusätzliche
Belastung für amerikanische Firmen und auch für die Verbraucher.

Auch aus dem US-Kongress kommt Kritik. Der einflussreiche Senator
Chuck Grassley etwa - Vorsitzender des Finanzausschusses im Senat -
klagte zuletzt, Sonderzölle auf Autos und Autoteile würden
Verbraucher enorm belasten, die sich ein Auto kauften - egal, ob es
in den USA produziert oder importiert sei. «Zölle sind keine
langfristige Lösung», mahnte der Republikaner. Sie könnten
kurzfristig Schutz für die inländische Wirtschaft liefern - aber auf
Kosten von Verbrauchern und Industrien, die zunehmend von komplexen
globalen Lieferketten abhingen.

Das Ergebnis des Berichts aus dem US-Handelsministerium entscheidet
noch nichts. Trump ist trotz der Einschätzung des Ministeriums völlig
frei darin, welchen Weg er einschlagen will. Der Präsident hat sich
zuletzt, etwa im Handelskonflikt mit China, als «Mann der Zölle»
inszeniert. Aber sieht er die Drohung mit Autozöllen nur als
Druckmittel, um die Europäer zu Verhandlungen zu zwingen? Oder würde
er wirklich ernst machen? Bei der Entscheidung - über ein Thema, das
viele Bürger trifft - dürfte auch der nahende Wahlkampf für die
Präsidentschaftswahl 2020 eine Rolle spielen.

Wann genau die Entscheidung des Ministeriums öffentlich wird, ist
bislang unklar. An diesem Montag ist in den USA ein Feiertag. Das
Ministerium wollte sich vorab nicht zu der Entscheidung äußern.

Besondere Gefahr durch Sonderzölle droht den deutschen Autobauern.
Sollten die USA die Importzölle dauerhaft um 25 Prozent erhöhen,
könnten sich deutsche Autoexporte in die USA langfristig fast
halbieren, geht aus den Berechnungen des ifo Instituts hervor. Das
würde sich auch spürbar auf die Ausfuhren insgesamt auswirken: «Diese

Zölle würden die gesamten Auto-Exporte aus Deutschland um 7,7 Prozent
verringern, was einem Wert von 18,4 Milliarden Euro entspräche»,
sagte ifo-Experte Gabriel Felbermayr.

Die EU hatte bereits angekündigt, dass sie auf neue US-Zölle mit
Vergeltungszöllen reagieren würden. Denkbar ist demnach, dass im
ersten Schritt Ausgleichszölle auf US-Waren im Wert von rund 20
Milliarden Euro verhängt würden.

Um den Streit um die bereits eingeführten US-Sonderzölle auf Stahl-
und Aluminiumprodukte zu entschärfen, hatten sich die USA und die EU
eigentlich auf den Start von neuen Freihandelsgesprächen verständigt.
Das Projekt kommt allerdings bislang nur äußerst schleppend voran.
Die im Juli zwischen Trump und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude
Juncker getroffene Vereinbarung sieht zur Schlichtung konkret vor,
dass beide Seiten Gespräche über die Abschaffung von Zöllen auf
Industriegüter sowie eine engere Zusammenarbeit bei Regulierungen zum
Beispiel für die Arzneimittelindustrie beginnen. Zugleich sollen
eigentlich vorerst keine neuen Sonderzölle verhängt werden.

Sollte Trump nun tatsächlich ernst machen, dürfte dies laut ifo die
Wertschöpfung der deutschen Autoindustrie um rund fünf Prozent
beziehungsweise um sieben Milliarden Euro senken. Noch im Dezember
hatte eine Delegation deutscher Automanager von VW, Daimler und BMW
Trump getroffen, um ihn von Sonderzöllen abzubringen.

Die deutsche Autoindustrie warnt vor Abschottung und verweist auf die
Bedeutung der deutschen Autobauer und Zulieferer für den
US-Arbeitsmarkt. «2018 waren rund 118 000 Mitarbeiter in ihren Werken
direkt beschäftigt, rund 8000 mehr als ein Jahr zuvor», heißt es vom

Verband der Automobilindustrie (VDA). «Während wir 2018 rund 750 000
Fahrzeuge in den deutschen US-Werken produziert haben, wurden nur 470
000 Neuwagen aus Deutschland in die USA exportiert.»

Würde es keine Gegenreaktion anderer Länder geben, könnten die USA
laut ifo-Experte Felbermayr langfristig von Sonderzöllen erheblich
profitieren. «Porsche, Audi, BMW, Mercedes & Co. würden verstärkt in

den USA produzieren und so die Zölle umgehen.» Wer weiter in die USA
exportiere, müsse die Preise senken. Außerdem würden die USA
Milliarden an Zolleinnahmen kassieren. Das Problem ist nur:
«Gegenzölle machen das alles kaputt.» Und das könnte der Haken an
Trumps Rechnung sein.