Juncker zum Abschied: Europa muss man lieben Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa

17.04.2019 15:14

Das Europaparlament hat diese Woche seine letzte reguläre Sitzung vor
der Wahl. Zeit für Reflexionen und Bilanzen - auch für den
Präsidenten der EU-Kommission.

Straßburg (dpa) - Mit einer Liebeserklärung an Europa hat sich der
scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vom
Europaparlament verabschiedet. «Europa muss man lieben», sagte
Juncker am Mittwoch in Straßburg. «Wenn man es nicht liebt, ist man
zur Liebe nicht fähig. Ich liebe Europa, es lebe Europa!» So habe er
es schon am ersten Tag seiner Amtszeit gesagt, und so sei es
geblieben.

Der Luxemburger war nach der Europawahl 2014 ins Amt gekommen. Sein
Mandat endet offiziell Ende Oktober. Vom 23. bis 26. Mai wird ein
neues Europaparlament gewählt, das dann auf Vorschlag der EU-Staats-
und Regierungschefs Junckers Nachfolger bestimmt. Seine letzte Rede
vor dem amtierenden Parlament nutzte der 64-Jährige für eine Bilanz
seiner Amtszeit und einen wehmütigen Abschiedsgruß.

«Mit schwerem Herzen sehe ich einige Kollegen sich aus der Politik
oder aus dem Parlament zurückziehen», sagte Juncker, der sich selbst
gegen eine weitere Amtszeit entschieden hatte. «Ich habe die Arbeit
hier mit Ihnen sehr gemocht, habe viel gelernt, habe viel gestritten.
Aber wir haben auch einiges geschafft.»

Während der vergangenen fünf Jahre seien 350 Vorschläge seiner
EU-Kommission umgesetzt worden, darunter wichtige Verbesserungen im
Alltag wie das kostenfreie Roaming beim Mobilfunk im EU-Ausland.
Juncker bedauerte, dass in der Asylpolitik keine EU-Lösung gelungen
sei. Ein Trost für ihn sei aber, dass die EU auf der sozialen Ebene
vorankomme.

«Der Brexit ist wichtig, aber das tägliche Leben der Bürger ist noch

wichtiger», sagte der Kommissionschef. Die Kommission habe 1600
Bürgerdialoge organisiert. Das zeige, dass sie sich nicht in ihrem
Brüsseler Amtssitz verbunkere und «keine Bande von Putschisten» sei,

sondern täglich Kontakt zu den Bürgern habe.

Europa lasse sich nicht gegen den Willen der Völker und ohne die
Nationen machen, fügte Juncker hinzu. Wer glaube, dass Nationen ein
Auslaufmodell seien, der irre sich gewaltig. «Wir sollten aus meiner
Sicht nicht mehr von den Vereinigten Staaten von Europa sprechen»,
betonte Juncker. «Europa wird niemals ein Staat nach dem Modell der
Vereinigten Staaten von Amerika - niemals.»

Juncker äußerte sich nach einer Rede des lettischen
Ministerpräsidenten Krisjanis Karins zur Zukunft Europas. Auch Karins
wurde emotional: «Die EU ist nicht perfekt und wird dies auch niemals
sein - bestimmt nicht. Aber sie ist mit Sicherheit das Beste, was ich
mir vorstellen kann.»

Mit Blick auf befürchtete Zugewinne von Europagegnern bei der Wahl
meinte Karins: «Bekämpft nicht die Populisten. Kümmert euch um die
Ursachen der Unzufriedenheit der Menschen.» Der Regierungschef nannte
Arbeitsplätze, Migration, Umweltpolitik und Sicherheit als wichtigste
Themen.

Vor allem Sicherheit bedeute für jeden etwas anderes, für Lettland
sei es in erster Linie die Sicherheit vor Russland und dessen
Falschnachrichten, sagte Karins. Er forderte von der EU ein
schärferes Vorgehen gegen russische Propaganda in sozialen Medien.
Statt freiwilliger Maßnahmen der Online-Plattformen solle die EU
ernsthaft ein gesetzliches Einschreiten prüfen.