Besessen vom Brexit: Die Rückkehr des Nigel Farage Von Christoph Meyer und Thomas Strünkelnberg, dpa

15.05.2019 09:00

Während die beiden großen britischen Parteien hinter verschlossenen
Türen nach einem Ausweg aus dem Brexit-Chaos suchen, führt Nigel
Farage mit seiner Brexit-Partei die Umfragen beim Europawahlkampf an.
Wer ist der Mann, der seit 20 Jahren verbissen gegen die EU kämpft?

London (dpa) - Kaum ein einzelner Politiker hat so großen Anteil am
Brexit wie Nigel Farage. Der 55 Jahre alte Engländer scheint von
einem unermüdlichen Hass auf die Europäische Union getrieben und ist
doch selbst Teil ihres Betriebs. Bereits bei der vergangenen Wahl zum
EU-Parlament vor fünf Jahren trieb er mit seiner EU-feindlichen
Ukip-Partei den damaligen britischen Premierminister David Cameron
vor sich her. Nun ist er wieder zurück, mit neuer Partei zwar, aber
stärker als je zuvor.

Als die Briten 2016 mit knapper Mehrheit in einem Referendum für den
Brexit stimmten, wollte sich Farage eigentlich schon zur Ruhe setzen.
Ukip galt als tot. Doch weil Premierministerin Theresa May ihren mit
Brüssel ausgehandelten Brexit-Deal nicht durchs Parlament bekommt,
lässt der Austritt auch drei Jahre später noch auf sich warten. Die
Briten müssen notgedrungen erneut Europaabgeordnete wählen.

Dabei überlassen die Konservativen Farage mit seiner Brexit-Partei
das Feld. Bei den Tories gibt es weder ein Wahlprogramm, noch gab es
einen offiziellen Wahlkampfstart. Bis zuletzt hatte die Regierung
noch gehofft, eine Teilnahme an der Europawahl könnte verhindert
werden.

Entsprechend sehen die Umfragewerte aus. In zwei jüngsten Erhebungen
kommt die Brexit-Partei jeweils auf 34 Prozent und vereint damit mehr
Stimmen auf sich als die Konservativen und Labour zusammen. Kürzlich
verkündete ein wohlhabender Parteispender, er habe nun statt den
Konservativen der Brexit-Partei eine stattlichen Summe von mehreren
Hunderttausend Pfund überwiesen.

Farage zieht die Wähler förmlich an. Im Alleingang macht er die
Brexit-Partei zu einer ernstzunehmenden Kraft. Er ist längst selbst
eine Marke und versteht es, an andere anzuknüpfen. Den
Margaret-Thatcher-Spruch «I want my money back» (Ich will mein Geld
zurück) aus der Zeit, als die Eiserne Lady einen Briten-Rabatt von
den EU-Beiträgen aushandelte, vereinnahmte er vor dem
Brexit-Referendum als «I want my country back» (Ich will mein Land
zurück).

Dabei schwang auch ein fremdenfeindlicher Unterton mit. Farage
bestreitet vehement, ausländerfeindlich oder gar rassistisch zu sein,
aber sein Wahlkampf spricht eine andere Sprache. Etwa als er das Foto
einer Gruppe von Flüchtlingen aus dem Jahr 2015 an der
kroatisch-slowenischen Grenze als Wahlplakat nutzt für die Angstmache
vor Zuwanderung nach Großbritannien.

Der Mann mit den dicken Tränensäcken beherrscht die politische
Inszenierung wie kaum ein anderer. Im Wahlkampf vor dem
Brexit-Referendum fährt er mit einer «Armada» von Fischerbooten die
Themse hinauf und wirft vor dem Parlament tote Fische ins Wasser. Die
Fischerei ist, ob wohl sie für die britische Volkswirtschaft nur eine
geringe Rolle spielt, eines der großen Themen des Wahlkampfs gewesen.
Ein Thema, das mit Identität zu tun hat und auf diesem Feld kennt
sich Farage aus.

Mit Vorliebe wettert er gegen die Elite. Die glaube nicht an
Großbritannien, sagt er etwa am vergangenen Sonntag über Politiker
der beiden großen Parteien in der BBC-Talkshow Andrew Marr. «Die
denken, dass wir nicht gut genug sind, um uns um unsere eigenen
Angelegenheiten zu kümmern»,

Dabei kommt Farage selbst alles andere als aus einfachen
Verhältnissen. Er wird 1964 in der südenglischen Grafschaft Kent
geboren. Sein Vater, ein alkoholkranker Börsenmakler, verlässt die
Mutter, als der Sohn fünf Jahre alt ist. Trotzdem geht Farage auf
eine Privatschule. Mit 18 entschließt er sich gegen ein Studium und
für eine Karriere als Rohstoffhändler im Finanzzentrum Londons. Mit
Anfang 20 entkommt er zum ersten Mal knapp dem Tod: Nach einer
durchzechten Nacht gerät er unter ein Auto. Der junge Mann überlebt -
und erfährt wenig später, dass er Krebs hat. Farage übersteht auch
das, heiratet zweimal, wird Vater von vier Kindern.

Seine ersten Gehversuche in der Politik macht er bei den
Konservativen - doch dann unterschreibt Großbritannien unter
Premierminister John Major 1992 den EU-Vertrag von Maastricht. Farage
ist außer sich und gründet mit anderen die Ukip (United Kingdom
Independence Party). Schnell steigt er auf, Charisma und Redebegabung
helfen ihm dabei. 1999 gewinnt der Engländer einen Sitz im
Europaparlament, 2006 übernimmt er den Ukip-Parteivorsitz.

2010 stürzt er mit einem Kleinflugzeug ab. Das Ukip-Banner, das die
Maschine hinter sich her zieht, hat sich im Heckruder verfangen.
Bilder zeigen, wie Farage blutüberströmt vom Wrack wegtaumelt. Doch
nichts kann ihn aufhalten. Vom Vorsitz der Ukip-Partei tritt er nach
dem Brexit-Referendum zurück. Später verlässt er die Partei, deren
Führungspersonal mehrfach wechselt und die schließlich immer weiter
ins rechtsextreme Spektrum abdriftet. Mit der Brexit-Partei kehrt er
zurück ins Rampenlicht.