Leyen erste Frau an EU-Spitze - Kramp-Karrenbauer macht Verteidigung

16.07.2019 22:36

Ursula von der Leyen schafft es mit einer denkbar knappen Mehrheit im
Parlament an die Spitze der EU-Kommission. Kaum ist die Überraschung
verdaut, kommt schon die nächste unerwartete Personalie.

Straßburg (dpa) - Ursula von der Leyen wird erste Frau an der Spitze
der EU-Kommission. Die CDU-Politikerin erhielt allerdings am
Dienstagabend im Europaparlament nur eine unerwartet knappe Mehrheit.
Wenig später folgte die nächste Überraschung: CDU-Chefin Annegret
Kramp-Karrenbauer wird von der Leyens Nachfolgerin als
Bundesverteidigungsministerin, wie Regierungssprecher Steffen Seibert
bestätigte. Sie soll schon am Mittwoch ernannt werden.

Dieser Wechsel kommt überraschend, weil es immer geheißen hatte,
Kramp-Karrenbauer (56) wolle nicht ins Kabinett von Kanzlerin Angela
Merkel gehen, sondern sich auf die Aufgabe als CDU-Chefin
konzentrieren. In Präsidiumskreisen hieß es, auch in dieser Runde sei
die Entscheidung für viele völlig unerwartet gekommen. Neben
Kramp-Karrenbauers Berufung soll es aber nach dpa-Informationen keine
Veränderungen im Bundeskabinett geben.

Von der Leyen hatte schon am Montag erklärt, ihr Ministeramt am
Mittwoch zur Verfügung zu stellen. Es war vor der entscheidenden
Abstimmung über ihre Kandidatur als EU-Kommissionspräsidentin ein
Signal, dass sich die 60-Jährige voll auf Brüssel einlässt. Am
Dienstag warb sie dann mit einer engagierten Rede für sich und machte
weitreichende Zusagen an die Abgeordneten für ein klimafreundliches,
soziales und geeintes Europa. Trotzdem wurde sie nur sehr knapp
gewählt: Sie erhielt 383 Stimmen, nur neun Stimmen über der nötigen
absoluten Mehrheit von 374 Stimmen, wie Parlamentspräsident David
Sassoli mitteilte.

Mit Blick auf das hauchdünne Ergbnis machten von der Leyens Kritiker
bei den Grünen wie auch bei der AfD sofort geltend, sie sei nur mit
Stimmen rechtsnationaler EU-Kritiker gewählt worden. Tatsächlich
reklamierte die nationalkonservative polnische Regierungspartei PiS
mit 24 Mandaten für sich die entscheidende Rolle bei der Abstimmung.
Der Europaabgeordnete Tomasz Poreba schrieb auf Twitter, ohne die
Stimmen der PiS wäre von der Leyens Sieg nicht möglich gewesen. Die
Abstimmung war allerdings geheim, wer wie gestimmt hat, wird kaum
nachvollziehbar sein.

Von der Leyen spielte das knappe Wahlergebnis herunter. «In der
Demokratie ist die Mehrheit die Mehrheit», sagte sie nach ihrem
Wahlerfolg. Es sei gelungen, eine pro-europäische Mehrheit zu
formieren. Vor zwei Wochen, direkt nach ihrer Nominierung durch die
Staats- und Regierungschefs, hätte sie vermutlich noch keine Mehrheit
gehabt.

So kann die 60-Jährige am 1. November die Nachfolge des Luxemburgers
Jean-Claude Juncker antreten - als erste Frau in dieser Position.
Erstmals seit Walter Hallstein (1958-1967) rückt zudem jemand aus
Deutschland auf den Spitzenposten. In den kommenden fünf Jahren
stehen gewaltige Aufgaben vor ihr - und sie hatte vor den
Abgeordneten auch große  Pläne angekündigt.

So bekräftigte sie ihr Versprechen eines klimaneutralen Europas bis
2050 und einer Senkung der Treibhausgasemission bis um 55 Prozent bis
2030. «Unsere drängendste Aufgabe ist es, unseren Planeten gesund zu
halten», sagte von der Leyen. Sie betonte, sie werde sich für
vollständige Gleichberechtigung von Männern und Frauen einsetzen.

Sie sagte zudem vollen Einsatz der Kommission für die
Rechtsstaatlichkeit zu - mit allen Instrumenten und mit einem neuen
Rechtsstaatsmechanismus. Auch den Brexit muss sie bewältigen. Sie
schloss eine Verlängerung der Austrittsfrist für Großbritannien nicht

aus, sofern es gute Gründe gibt. Die Frist läuft derzeit bis 31.
Oktober.

Ihre politischen Leitlinien legte von der Leyen in einem mehr als
20-seitigen Dokument dar. Arbeitsschwerpunkte darin sind unter
anderem der Klimaschutz, die Wirtschafts- und Migrationspolitik sowie
die Rolle der EU in der Welt. «Ich sehe die kommenden fünf Jahre als
Chance für Europa - um zu Hause über sich hinauszuwachsen und damit
eine Führungsrolle in der Welt zu übernehmen», schreibt von der Leyen

darin.

Vizekanzler Olaf Scholz und Außenminister Heiko Maas (beide SPD)
gratulierten von der Leyen direkt nach der Verkündung des Ergebnisses
- und das, obwohl alle 16 SPD-Europaabgeordneten laut eigener Aussage
gegen die CDU-Frau stimmten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
würdigte von der Leyen als «überzeugte und überzeugende Europäeri

und sagte: «Sie wird nun mit großem Elan die Herausforderungen
angehen, vor denen wir als Europäische Union stehen.»

Als Kommissionspräsident kann von der Leyen in den nächsten fünf
Jahren die politische Linien und Prioritäten der EU mitbestimmen. Sie
wird Chefin von mehr als 30 000 Mitarbeitern in der Brüsseler
Behörde. Diese ist dafür zuständig, Gesetzesvorschläge zu machen un
d
die Einhaltung von EU-Recht zu überwachen. Sie bestimmt damit auch
den Alltag der gut 500 Millionen Europäer mit.

Vor der Abstimmung im Straßburger Europaparlament hatte es sehr viel
Unmut gegeben, weil von der Leyen keine Spitzenkandidatin zur
Europawahl war. Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten die
Spitzenkandidaten Manfred Weber von der Europäischen Volkspartei und
Frans Timmermans von den Sozialdemokraten übergangen und stattdessen
von der Leyen als Überraschungskandidatin präsentiert.

Die SPD-Europaabgeordneten, die Grünen und die Linken hatten deshalb
- und auch wegen inhaltlicher Differenzen - ein Nein angekündigt.