EU-Kommission beschließt Grundwerte-Check für alle Mitgliedstaaten

17.07.2019 16:01

Stehen Polen und Ungarn zu Unrecht alleine am Pranger, wenn es um
Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit geht? Die EU-Kommission will
Vorwürfen nun besser vorbeugen. Das könnte auch die Bundesrepublik
treffen.

Brüssel (dpa) - Deutschland wird sich künftig regelmäßig
Überprüfungen der Rechtsstaatlichkeit unterziehen müssen. Die für d
ie
Einhaltung von europäischen Standards zuständige EU-Kommission
kündigte am Mittwoch an, ab sofort einmal im Jahr die Lage in allen
Mitgliedstaaten zu begutachten. Das neue System werde die
«Früherkennung sich abzeichnender Rechtsstaatlichkeitsprobleme
erleichtern», teilte die Behörde am Mittwoch in Brüssel mit. Über
möglicherweise notwendige Konsequenzen solle dann mit dem
Europaparlament und dem Rat der Mitgliedstaaten geredet werden.

Mit dem neuen Verfahren reagiert die EU-Kommission offensichtlich
auch auf Vorwürfe von Ländern wie Polen und Ungarn. Diese hatten sich
in der Vergangenheit wiederholt darüber beklagt, einseitig im Fokus
der Brüsseler Behörde zu stehen. Gegen beide Staaten wurden wegen
mutmaßlicher Verletzungen der EU-Grundwerte bereits Klagen vor dem
EuGH eingereicht und Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge
eingeleitet. Letztere sollen die Regierungen in Warschau und Budapest
unter der Androhung eines Stimmrechteentzugs dazu bewegen,
umstrittene Entscheidungen zurückzunehmen.

In Polen geht es um Änderungen von Justizreformen, die nach
Einschätzung von Rechtsexperten zu direkter Abhängigkeit der Justiz
von der parlamentarischen Mehrheit und dem Präsidenten führen. In
Ungarn sind unter anderem Maßnahmen Stein des Anstoßes, die das Aus
für die Zentraleuropäische Universität (CEU) bedeutet haben.

«Der Europäische Gerichtshof hat kürzlich erneut bekräftigt, dass d
ie
Rechtsstaatlichkeit für das Funktionieren der EU von entscheidender
Bedeutung ist», kommentierte EU-Vizekommissionspräsident Frans
Timmermans am Mittwoch. Die Kommission werde deswegen weiter gegen
Angriffe gegen die Rechtsstaatlichkeit kämpfen und dafür «alle ihr
zur Verfügung stehenden Mittel» ausgeschöpfen.

Mit Blick auf die Lage in Polen entschied die EU-Kommission so
bereits jetzt, ein schon laufendes Vertragsverletzungsverfahren zum
Schutz polnischer Richter vor politischer Kontrolle weiter
voranzutreiben. Wie die Behörde mitteilte, hat die Regierung in
Warschau Bedenken gegen eine neue Disziplinarregelung für Richter
bislang nicht ausgeräumt. Ihr wird deswegen jetzt eine neue
Stellungnahme zugeschickt, die innerhalb von zwei Monaten beantwortet
werden muss. Wenn die Behörden nicht die erforderlichen Maßnahmen
treffen, kann die Kommission den Europäischen Gerichtshof
einschalten.

Die kritisierte Disziplinarregelung ermöglicht es nach Angaben der
Brüsseler Behörde, Richter wegen des Inhalts ihrer Entscheidungen
disziplinarrechtlich zu verfolgen. Sie ist schon jetzt Gegenstand
eines sogenannten Vorabentscheidungsverfahrens am EuGH. Mit ihm gehen
polnische Richter gegen die Disziplinarregelung vor.

Die polnische Regierung hatte kurz vor der offiziellen Ankündigung
noch einmal vor dem Schritt gewarnt. Die Kommission versuche
verzweifelt, Streit zwischen Polen und der EU anzuheizen, sagte der
stellvertretende Ministerpräsident Jacek Sasin. Dies tue der EU nicht
gut.

Neben dem «Bericht über die Rechtsstaatlichkeit» und der Fortsetzung

des Verfahrens gegen Polen kündigte die Kommission am Mittwoch auch
ein neues Forum für den Dialog mit der Zivilgesellschaft sowie eine
engere Zusammenarbeit mit dem Europarat und anderen Organisationen
an. Es gehe darum, europaweit eine gemeinsame Kultur der
Rechtsstaatlichkeit zu fördern, teilte die Kommission mit.