Gemeindetagschef Kehle will Maut für alle und überall

14.08.2019 05:25

Die Maut ist tot, lang lebe die Maut? Der Staat hat Millionen mit dem
gescheiterten Verkehrsprojekt der CSU versenkt. Nun fordert der
Gemeindetagspräsident Kehle eine noch viel umfassendere Abgabe.

Stuttgart (dpa/lsw) - Nach dem Aus für die Pkw-Maut fordert der
Präsident des Gemeindetags Baden-Württemberg ein umfassenderes
Maut-Modell - für alle Autofahrer und alle Straßen. «Wir brauchen
eine Maut für alle», sagte Roger Kehle, der gleichzeitig
Vizepräsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes ist. Der
Landesvorstand des Südwest-Verbands habe einen entsprechenden
einstimmigen Beschluss gefasst. Die Diskussion um die Maut müsse
wieder kommen, aber anders geführt werden, sagte er.

Kehle regt eine kilometerbezogene Maut für In- und Ausländer an, die
Vielfahrer stärker belasten würde - und zwar für Bundes- und
Landesstraßen sowie für kommunale Straßen. Im Gemeindetag fürchtet

man eine Verlagerung des Verkehrs auf Landes- und Kommunalstraßen,
wenn nur die Hauptverkehrsadern belastet würden.

Die Maut war zunächst ein Prestigeprojekt der bayerischen CSU, das
sie gegen Widerstand der SPD und Bedenken in der CDU durchgesetzt
hatte. Die sogenannte «Infrastrukturabgabe» war im Juni vom
Europäischen Gerichtshof (EuGH) gestoppt worden - unter anderem, weil
sie Autobesitzer aus dem Ausland benachteilige. Sie sah vor, dass
alle inländischen Autobesitzer eine Jahresmaut zahlen, die sich nach
Größe und Umweltfreundlichkeit des Motors richtet - egal, wie oft man
wirklich fährt. Für Autobesitzer aus dem Ausland sollte es auch kurze
pauschale Tarife für zehn Tage und zwei Monate geben. Geplant war,
Inländer gleichzeitig bei der Kfz-Steuer zu entlasten, so dass sie
insgesamt nicht hätten draufzahlen müssen.

Kehle sagte, er glaube nicht, dass es Entlastungen bei einer Maut
geben könne. «Ich weiß, dass eine solche Forderung weh tut, aber ich

sehe überhaupt keine andere Möglichkeit.» Er fordert aber einen
Ausgleich für Pendler.

Eine neue Maut hält Kehle für zwingend nötig, um den Verkehrsinfarkt

zu verhindern und die Verkehrswende zu finanzieren. Die
Verkehrsinfrastruktur sei seit Jahren unterfinanziert. «Das wird
wahnsinnig viel kosten.» Die Maut-Mittel müssten dann nicht nur dem
Bund, sondern auch den Kommunen zur Verfügung stehen. Das Straßennetz
in Deutschland betrage 920 000 Kilometer, der kommunale Anteil daran
liege bei rund 600 000 Kilometern. Entsprechend der Verkehrswege
müssten die Mittel nach Kehles Idee aufgeteilt werden.

Die Maut müsse eine kluge Steuerungswirkung entfalten. «Der, der mehr
fährt, muss mehr zahlen», so Kehle. Mit Verboten komme man nicht
weiter, aber mit klugen Anreizsystemen. So könnte eine intelligente
Maut teurer sein, wenn man zu Stoßzeiten in eine Metropole fährt.
Eine solche Gebühr könnte bei Fahrtstrecken von Privatwagen
elektronisch erfasst werden.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund teilte mit, dass man die
Diskussion begrüße, wie man die chronische Unterfinanzierung der
Verkehrsinfrastruktur angehen könne. Zu den diskutierten Lösungen
gehöre auch Kehles Idee einer intelligenten Maut, sagte ein Sprecher.
Wie konkret das aussehen werde, sei Gegenstand der Diskussionen. Es
müsse sichergestellt werden, dass Pendler, die ihr Auto für die
Arbeit brauchen, nicht über Gebühr belastet würden. Klar sei, dass
Kommunen diese Diskussionen jetzt führen müssten, «weil Bund und
Länder sich nicht in der Lage gezeigt haben, das Problem zu lösen».
Einigkeit bestehe darin, dass man einen immensen kommunalen
Investitionsrückstand habe - im Verkehrsbereich knapp 50 Milliarden
Euro, sagte der Sprecher.

Kehle sprach sich im Zusammenhang mit der Verkehrswende für einen
vernünftigen Mix aus Autos, Fahrrädern, Fußgängern, Tretrollern und

weiteren Verkehrsmitteln aus - und forderte einen maximalen Ausbau
des ÖPNV. Das schaffe man aber nur mit genügend Geld. Auch Autofahrer
profitierten von einer solchen Maut-Abgabe, sagte Kehle, weil auch
die Straßen damit ausgebaut würden. Bundesverkehrsminister Andreas
Scheuer (CSU) sei von 550 Millionen Euro Maut-Einnahmen ausgegangen.
«Ich gehe davon aus, dass uns 550 Millionen nicht reichen werden.»

Nach dem Aus der Maut-Pläne waren bereits Rufe nach
Alternativ-Modellen laut geworden. Umweltschützer und Teile der
Grünen machten sich für eine stärker ökologisch orientierte Gebüh
r
nach zurückgelegter Strecke stark. Umzusetzen wäre eine Strecken-Maut
nicht mehr mit Kassenhäuschen an den Autobahnen wie in einigen
europäischen Ländern, sondern mit elektronischen Systemen.

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) etwa
warb für eine Maut nach gefahrener Strecke und mit Staffelung nach
Emissionsklassen, die Kosten könnten dann auch noch je nach Tageszeit
variieren. Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ist für
eine entfernungs- und emissionsabhängige Pkw-Maut mit
klimapolitischer Lenkungswirkung. Baden-Württembergs Innenminister
und CDU-Bundesvize Thomas Strobl hatte sich nach dem Stopp der
Pkw-Maut dafür ausgesprochen, eine zusätzliche Abgabe nicht zum Tabu
zu erklären. Bei der Frage nach einer möglichen Einführung einer
Pkw-Maut für alle dürfe es keine Denkverbote geben.

Ob eine Maut schon in den Klimaschutzberatungen der Koalition im
Herbst eine Rolle spielt, muss sich erst zeigen. Verkehrsminister
Scheuer will sich zunächst auf die Abwicklung der Maut konzentrieren.