Schottisches Gericht erklärt Parlaments-Zwangspause für unrechtmäßi g Von Christoph Meyer, Silvia Kusidlo und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

11.09.2019 20:13

Weitere Wendung im Brexit-Krimi: Ein schottisches Gericht erklärt die
Zwangspause des Parlaments für «null und nichtig». Die Regierung will

das Urteil anfechten. Abgeordnete fordern von Premierminister
Johnson, das Parlament umgehend wieder einzuberufen.

London/Edinburgh (dpa) - Ein schottisches Berufungsgericht hat die
von Premierminister Boris Johnson auferlegte fünfwöchige Zwangspause
des britischen Parlaments für unrechtmäßig erklärt. Der Court of
Session teilte seine Entscheidung am Mittwoch in Edinburgh mit.

Johnsons Empfehlung an Königin Elizabeth II., das Parlament
vorübergehend zu schließen, sei offenbar mit der Absicht erfolgt, die
Abgeordneten im Brexit-Streit kaltzustellen, so die Richter. Das
Gericht werde daher eine Anordnung erlassen, wodurch die Zwangspause
als «null und nichtig» erklärt werde. Die Zwangspause soll eigentlich

erst am 14. Oktober enden.

Oppositionsabgeordnete riefen die Regierung dazu auf, das Parlament
umgehend wieder einzuberufen. «Sie sollten uns zurückrufen, damit wir
unsere Arbeit machen können», sagte der Labour-Abgeordnete Hilary
Benn dem britischen Sender Sky News. Doch die Regierung wies die
Forderungen zurück. Sie kündigte an, zunächst Berufung beim obersten

britischen Gericht, dem Supreme Court, einzulegen. Dort soll am
Dienstag kommender Woche über die Angelegenheit verhandelt werden.

Eine Sprecherin von Parlamentspräsident John Bercow teilte mit, dass
es in der Zuständigkeit der Regierung liege, die Zwangspause
vorzeitig zu beenden. Johnson äußerte sich bei einer am Mittwoch in
sozialen Netzwerken übertragenen Videobotschaft nicht zu dem Urteil.

Noch in der Nacht zu Donnerstag sollte eine Frist des Parlaments für
die Herausgabe von Dokumenten ablaufen. Die Abgeordneten hatten noch
am Montag einen Beschluss verabschiedet, wonach die Regierung
Unterlagen zu den Planungen für einen No-Deal-Brexit und zur
Entscheidung für die Zwangspause herausgeben sollte.

Die Schottische Nationalpartei (SNP) bezeichnete die Entscheidung des
Gerichts als «großartige Neuigkeit». SNP-Fraktionschef Ian Blackford

schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter an Boris Johnson gerichtet:
«Sie haben undemokratisch gehandelt und müssen das Parlament (aus der
Zwangspause) zurückrufen.»

Der Brexit-Experte der oppositionellen Labour-Partei, Keir Starmer,
schrieb auf Twitter: «Niemand bei klarem Verstand hatte Boris
Johnsons Begründung für die Schließung des Parlaments geglaubt.»

CDU-Europapolitiker David McAllister begrüßte den schottischen
Richterspruch gegen die Beurlaubung des britischen Parlaments. «Die
Entscheidung des schottischen Berufungsgerichts zeigt deutlich, dass
es nicht nur politische, sondern auch ernstzunehmende juristische
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angeordneten Zwangspause gibt»,
sagte McAllister am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel.

Die Klage vor dem Court of Session in Edinburgh hatten etwa 75
Parlamentarier eingereicht. Sie war in erster Instanz zunächst
gescheitert. Auch der High Court in London hatte eine ähnliche Klage
zunächst abgewiesen. Beide Male war die Begründung gewesen, die Frage
sei nicht rechtlicher, sondern politischer Natur und könne daher
nicht vor Gericht geklärt werden. Das Berufungsgericht in Schottland
sah dies nun anders.

Die Zwangspause des Parlaments war in der Nacht zum Dienstag wirksam
geworden, bei der Zeremonie war es zu tumultartigen Szenen im
Unterhaus gekommen. Abgeordnete der Opposition hielten Protestnoten
mit der Aufschrift «Zum Schweigen gebracht» hoch und skandierten
«Schande über euch» in Richtung der Regierungsfraktion.
Parlamentspräsident John Bercow sprach von einem «Akt exekutiver
Ermächtigung». Labour-Chef Jeremy Corbyn warf Johnson vor, er
schließe das Parlament, um keine Rechenschaft mehr ablegen zu müssen.

Mit der Gerichtsentscheidung vom Mittwoch setzt sich Johnsons Serie
der Niederlagen fort. Zuvor war er bei Abstimmungen im Parlament
unter anderem zwei Mal mit einem Antrag auf eine Neuwahl gescheitert.
Es gibt damit keine Möglichkeit mehr für eine vorgezogene Wahl vor
dem geplanten Brexit-Datum.

Die Abgeordneten hatten zudem im Eilverfahren ein Gesetz durch beide
Kammern des Parlaments gepeitscht. Das Gesetz sieht vor, dass der
Premierminister eine Verlängerung der Brexit-Frist beantragen muss,
sollte bis zum 19. Oktober kein Austrittsabkommen ratifiziert sein.
Johnson lehnt das jedoch strikt ab.

Der britische Brexit-Unterhändler David Frost führte am Mittwoch
erneut Gespräche mit EU-Beamten über die von Großbritannien
gewünschten Änderungen am Austrittsvertrag. Über Inhalte wurde nichts

bekannt. Ein weiteres Treffen sei für Freitag angesetzt, hieß es aus
der EU-Kommission. Ein Sprecher wollte zu dem schottischen Urteil zur
Beurlaubung des britischen Parlaments keine Stellung nehmen.