Vor Brexit-Gesprächen: Wirtschaft fordert Einigung

16.09.2019 05:01

Keine sieben Wochen sind es mehr bis zum geplanten EU-Austritt
Großbritanniens. Premier Johnson steht in London massiv unter Druck -
da macht er sich auf zu EU-Kommissionschef Juncker, um einem Erfolg
näher zu kommen. Aber hat er Chancen?

Luxemburg/London (dpa) - Vor Brexit-Gesprächen des britischen
Premierministers Boris Johnson mit EU-Kommissionschef Jean-Claude
Juncker fordert die europäische Wirtschaft dringend eine Einigung.
Der Unternehmerverband BusinessEurope verlangte am Montag, einen
britischen EU-Austritt ohne Vertrag definitiv auszuschließen, weil er
für Bürger und Wirtschaft auf beiden Seiten ein «Desaster» wäre.


Johnson und Juncker sind für Montagmittag in Luxemburg zu einem
Arbeitsessen verabredet - das erste direkte Treffen der beiden, seit
Johnson im Juli Premierminister wurde. Johnson trifft auch den
luxemburgischen Ministerpräsidenten Xavier Bettel und gibt eine
Pressekonferenz (15.15 Uhr). Der britische Regierungschef hatte am
Wochenende Zuversicht verbreitet, doch EU-Diplomaten erwarteten für
Montag keinen Durchbruch.

Aus Regierungskreisen hieß es am Sonntag, die britische Regierung
strebe weiter ein Abkommen an. Johnson will demnach in dem Gespräch
aber bekräftigen, dass er eine weitere Verlängerung der Brexit-Frist
ablehnen werde, sollte sie angeboten werden.

Der Premier will das fertige EU-Austrittsabkommen ändern, was die
Europäische Union bislang ablehnt. Sollte keine Einigung gelingen,
droht Johnson mit einem ungeregelten Brexit Ende Oktober - und das,
obwohl das britische Parlament keinen «No-Deal» will und für den
Notfall verlangt, eine weitere Verlängerung der Austrittsfrist zu
beantragen.

Auch BusinessEurope mahnte, ein No-Deal sollte definitiv
ausgeschlossen werden. Ein harter Bruch wäre aus Sicht des Verbands
extrem schädlich für beide Seiten: Waren würden schwieriger
erhältlich und teurer, auch das Reisen würde komplizierter.

«Wir müssen einen glatten Übergang von der heutigen zur künftigen
Beziehung zwischen der EU und Großbritannien sicherstellen, mit einem
klaren Rahmenvertrag, der Bürgern und Unternehmen Zuversicht gibt»,
erklärte Verbandschef Markus Beyrer. «Wir fordern beide Seiten auf,
alles Vernünftige zu versuchen und einen konstruktiven Dialog zu
führen, um einen No-Deal abzuwenden».

Die Unsicherheit bei einer weiteren Verschiebung des Brexits sei zwar
nicht ideal, sollte aber dennoch in Erwägung gezogen werden, erklärte
der Verband. Vorteil für Bürger und Wirtschaft bei einem geregelten
Austritt wäre die im Vertrag vorgesehene Übergangsfrist bis Ende
2020, in der sich zunächst praktisch nichts ändert. In der Zeit
wollen beide Seiten ihre künftigen Beziehungen aushandeln.

Doch obwohl die damalige Premierministerin Theresa May den Deal schon
voriges Jahr mit der EU schloss, ist er vom britischen Parlament noch
immer nicht ratifiziert. Er fiel drei Mal durch, unter anderem wegen
des sogenannten Backstops für Irland.

Es geht um die Frage, wie trotz Brexits eine feste EU-Außengrenze
zwischen Irland und dem britischen Nordirland vermieden werden kann.
Denn eine erneute Teilung der erst vor gut 20 Jahren befriedeten
Insel könnte Unruhen auslösen. Die EU verlangt, dass ganz
Großbritannien notfalls in der EU-Zollunion bleiben soll, bis eine
bessere Lösung gefunden wird. Johnson will diese Klausel streichen,
weil Großbritannien sonst keine eigene Handelspolitik machen könnte.
Er will alternative Lösungen. Wie sie aussehen sollen, ist unbekannt.

Viel Zeit bleibt Johnson nicht in Luxemburg, denn schon am Dienstag
beschäftigt sich das oberste britische Gericht mit einem heiklen
Brexit-Aspekt: Der Supreme Court beginnt dann mit der Anhörung zu der
Frage, ob die von Johnson auferlegte fünfwöchige Zwangspause des
Parlaments überhaupt rechtmäßig ist. Ein schottisches Gericht hatte
zuvor die Schließung bis zum 14. Oktober für unrechtmäßig erklärt
und
Johnson vorgeworfen, die Abgeordneten kaltstellen zu wollen.

Angesichts der heftigen Brexit-Streitereien und auch Tricksereien
haben viele Briten einer Umfrage zufolge kein großes Vertrauen mehr
in ihr Parlament. 74 Prozent der Befragten glauben, dass dieses
«nicht fit für das 21. Jahrhundert» ist. Etwa 80 Prozent halten der
ComRes-Umfrage zufolge Reformen für dringend notwendig.