Griechenland: Mit Blockaden und Schweinefleisch gegen Flüchtlinge Von Takis Tsafos und Alexia Angelopoulou, dpa

08.11.2019 14:32

Das Wort Xenophobie, Furcht/Angst vor dem Fremden, stammt aus dem
Griechischen - und erlangt dort erstmals seit langem wieder an
Bedeutung. In Vrasna, Larisa, Giannitsa und anderen Städten wehren
sich Bewohner gegen die Unterbringung weiterer Migranten.

Athen (dpa) - «Gegen Menschenhandel, gegen Schleuser, gegen die
Zerstörung unseres Ortes» - mit diesem Aufruf gingen Bürger der
nordgriechischen Stadt Vrasna vor zwei Wochen auf die Straße. Ihre
Blockade zwang acht Reisebusse mit rund 400 Migranten zur Umkehr -
die Menschen, die von der Insel Samos kamen und künftig in Vrasna
leben sollten, wurden anderweitig untergebracht. Seither häufen sich
die Demonstrationen. Besonders drastisch: Eine nationalistische
Gruppierung will an diesem Sonntag in einem Flüchtlingslager nahe
Thessaloniki mit gegrilltem Schweinefleisch und reichlich Alkohol
gegen die Flüchtlinge mobil machen.

Hintergrund ist eine Verschärfung des griechischen Asylgesetzes und
die darin enthaltene Maßnahme, bis zum Jahresende mindestens 20 000
Migranten von den völlig überlasteten Inseln der Ostägäis auf das
Festland zu verlegen. Rund 6500 Menschen wurden bisher bereits per
Fähre zum Hafen von Piräus gebracht und von dort aus mit Bussen
weiter befördert - hauptsächlich nach Nordgriechenland, wo es viele
leerstehende Militärkasernen zur Unterbringung gibt.

Auf der Insel Lesbos haben die Einheimischen den Bau eines weiteren
Flüchtlingslagers bisher erfolgreich verhindert. Sie fürchten, jetzt
und in Zukunft als Flüchtlingsinsel herhalten zu müssen, der die
Touristen den Rücken kehren. Fast 15 000 Migranten harren derzeit auf
Lesbos aus, bei einer Kapazität von nicht einmal 3000 Plätzen. Sie
leben zum Großteil unter miserablen Bedingungen, in ungeheizten
Zelten, ohne Strom, fließend Wasser und Toiletten.

In Nordgriechenland argumentieren die Bewohner, sie fühlten sich
nicht mehr sicher, die Kriminalität habe zugenommen, die Kinder
könnten nicht mehr auf die Straße. «Wir haben die Behörden gewarnt,

dass kein Flüchtling mehr kommen soll, weil die Bürger so aufgebracht
sind», sagt Diamantis Liamas, Bürgermeister von Vrasna.

Doch der Regierung des konservativen Premiers Kyriakos Mitsotakis
bleibt im Moment nichts anderes übrig als Flüchtlinge aufs Festland
zu holen. «Die Situation ist bei uns so angespannt, dass ein kleiner
Zwischenfall reichen kann, damit die Bürger endgültig auf die
Barrikaden gehen», sagt etwa Giorgos Stantzos, Bürgermeister der
Stadt Vathy auf Samos. Vathy hat rund 7000 Einwohner - im
Flüchtlingslager oberhalb des Ortes leben 6100 Migranten.

Wegen des nahenden Winters begrüßt das UN-Flüchtlingshilfswerk
(UNHCR) die Übersiedlung der Migranten aufs Festland. «Die Situation
ist so verzweifelt, dass es jetzt vor allem darum geht, die Menschen
besser unterzubringen», sagt der Sprecher des griechischen UNHCR,
Boris Cheshirkov, der Deutschen Presse-Agentur. Auf dem Festland
werden dazu alte Militärkasernen, Hotels und Wohnungen genutzt.

Auch der Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei werde durch
die Übersiedlung nicht aufgeweicht, sagt Cheshirkov. «Bei jenen, die
aufs Festland gebracht werden, handelt es sich um Menschen, deren
Asylanträge aller Wahrscheinlichkeit nach genehmigt werden.» Zu
dieser Gruppe gehörten etwa Afghanen und Syrer, auch Mütter mit
Kindern sowie unbegleitete Minderjährige.

Für die Festlandgriechen ist die Entwicklung jedoch neu, denn vor dem
Flüchtlingspakt reisten die Migranten durch Griechenland weiter nach
Mittel- und Nordeuropa. Und seit Inkrafttreten des Paktes im Jahr
2016 blieben sie großteils auf den Inseln.

Doch es gibt nicht nur Gegenwehr: Nach den ersten xenophoben
Ausfällen meldeten sich zahlreiche Gemeinden aus ganz Griechenland
mit dem Angebot, die Flüchtlinge bei sich aufzunehmen. «Bei uns
werden sie untergebracht und anständig behandelt», versichert etwa
der Bürgermeister des Ortes Servia in Nordgriechenland.