Von der Leyens verspricht tiefen Wandel der Europäischen Union

27.11.2019 17:42

Am Ende war der Rückhalt größer als gedacht: Die neue EU-Kommission
hat die Zustimmung des Europaparlaments bekommen - und soll nun
zeigen, was sie kann.

Straßburg (dpa) - Die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen hat
die letzte Hürde genommen und geht am Sonntag an den Start. Ziel sei
ein für alle spürbarer Wandel der Euroäischen Union in den nächsten

fünf Jahren, kündigte von der Leyen an, bevor das Europaparlament ihr
Team am Mittwoch mit breiter Mehrheit billigte. Die CDU-Politikerin
zeigte sich hochzufrieden und sprach von einem Vertrauensvotum. Auf
ihr lasten aber auch enorme Erwartungen - nicht nur des Parlaments,
sondern auch der Wirtschaft, von Klimaschützern und Sozialverbänden.

Erstmals seit mehr als 50 Jahren stellt nun Deutschland wieder die
Spitze der mächtigen Brüsseler Exekutive - und zum ersten Mal
überhaupt übernimmt eine Frau den EU-Chefposten. Von der Leyens Team
aus 26 Kommissaren erhielt bei der Schlussabstimmung im Parlament am
Mittwoch von 707 abgegebenen Stimmen 461, 157 Abgeordnete stimmten
dagegen, 89 enthielten sich.

«Diese große Mehrheit macht mich demütig», sagte 61 Jahre alte
CDU-Politikerin. Es gebe breiten und stabilen Rückhalt für ihre
Agenda des Wandels. Zum Vergleich: Der scheidende Präsident
Jean-Claude Juncker hatte vor fünf Jahren 423 Stimmen für sein Team
bekommen.

Vor der Abstimmung im Europaparlament setzte von der Leyen vor allem
eine Botschaft: «Lasst uns an die Arbeit gehen.» Von der Leyen warb
erneut für ihre wichtigsten Ziele, darunter eine neue, stärkere Rolle
Europas in der Welt, ein ehrgeiziger Klimaschutz im Rahmen eines
«Green Deal» und eine Digitalisierung der europäischen Wirtschaft mit

klaren Standards und Regeln. Sie bekräftigte ihre Ankündigung eines
Konzepts für Asyl und Migration. Großbritannien sagte sie trotz des
für Ende Januar geplanten Brexits eine enge Partnerschaft zu.

Persönlich wurde von der Leyen in ihrer Kampfansage an den Krebs.
«Als ich als Mädchen in Brüssel lebte, starb meine kleine Schwester
im Alter von elf Jahren an Krebs», sagte die 61-Jährige und kündigte

an: «Europa wird im Kampf gegen Krebs die Führung übernehmen.»

Nach ihrem Abstimmungserfolg kündigte von der Leyen an, wie sie nun
loslegen will: Am Sonntag werde sie mit den Partnern in den G20 und
den G7 telefonieren, den wichtigsten Wirtschaftsmächten der Welt.
Geplant ist zudem ein gemeinsamer Auftritt mit den Präsidenten der
übrigen EU-Institutionen, darunter der neue EU-Ratschef Charles
Michel und Parlamentspräsident David Sassoli. Am Montag will von der
Leyen bei der Weltklimakonferenz in Madrid eine Rede halten.

Aufgabe der EU-Kommission ist es, internationale Verträge
auszuhandeln, Gesetze vorzuschlagen und die Einhaltung des
gemeinsamen europäischen Rechts zu überwachen. Das Kollegium der
Kommissare ist ähnlich organisiert wie eine Regierung mit
unterschiedlichen Ressorts. Jedes EU-Land soll mit einem Kommissar
vertreten sein. Wegen des Brexits hat Großbritannien keinen Vertreter
mehr nominiert.

Die neue Chefin hatte versprochen, dass erstmals genauso viele Frauen
wie Männer in der Kommission vertreten sein sollen. Doch wurden zwei
ihrer designierten Kommissarinnen und ein Kommissar während des
Nominierungsverfahrens vom Parlament gestoppt. Als Ersatz kamen zwei
Männer und eine Frau. Ihr neues Team besteht nun aus zwölf Frauen und
15 Männern.

Die ehemalige Bundesministerin war im Juni von den Staats- und
Regierungschefs der Europäischen Union für den Spitzenposten
ausgesucht und im Juli mit einer sehr knappen Mehrheit vom
Europaparlament bestätigt worden. Das Abstimmungsergebnis für ihr
Team fiel nun deutlich besser aus.

Die drei größten Parteienfamilien im Parlament - die
christdemokratische Europäische Volkspartei, die sozialdemokratische
S+D und die liberale Renew - sind alle mit Kommissaren in der neuen
Führung vertreten und unterstützten sie. Die Grünen enthielten sich,

von der Linken und anderen Parteien kam Ablehnung.

Nach dem Votum prasselten von allen Seiten gute Wünsche, aber auch
Forderungen auf von der Leyen herein. Als einer der ersten
gratulierte ihr Vorgänger Juncker auf Twitter: «Ich weiß, dass wir
unter deiner Führung ein stärkeres, grüneres und digitaleres Europa
sehen werden. Ich wünsche dir nur das Beste.»

Die Umweltverbände WWF und CAN nahmen von der Leyen beim Wort und
forderten ehrgeizige Klimabeschlüsse. Der Bundesverband der Deutschen
Industrie (BDI) mahnte indes eine neue Industriestrategie als
Priorität an, der Digitalverband Bitkom intensive Arbeit an den
digitalen Themen. «Das neue Kollegium der EU-Kommission sollte beim
Verbraucherschutz Tempo machen», verlangte der Verbraucherzentrale
Bundesverband. Der Sozialverband AWO erklärte, um das Vertrauen der
Bürger zurückzugewinnen, seien «besondere Anstrengungen zur Stärkun
g
der soziale Dimension der EU notwendig.»