Was man über die Parlamentswahl in Großbritannien wissen sollte

12.12.2019 03:55

London (dpa) - Die Briten wählen an diesem Donnerstag (12. Dezember)
ein neues Parlament. Premierminister Boris Johnson hofft mit seinen
Konservativen auf eine satte Mehrheit, um seinen Brexit-Deal durchs
Parlament zu bringen und das Land am 31. Januar 2020 aus der
Europäischen Union zu führen. Die oppositionelle Labour-Partei hat
dagegen so gut wie keine Chancen auf eine eigene Mehrheit, sondern
müsste auf die Unterstützung kleinerer Parteien hoffen. Labour-Chef
Jeremy Corbyn will ein eigenes Brexit-Abkommen aushandeln und es den
Briten danach in einem zweiten Referendum vorlegen.

WANN IST MIT EINEM ERGEBNIS ZU RECHNEN?

Die Wahllokale sind von 8 Uhr (MEZ) bis 23 Uhr (MEZ) geöffnet.
Unmittelbar danach wird eine Prognose im Auftrag der Fernsehsender
BBC, ITV und Sky News veröffentlicht. Bei vier von fünf Wahlen seit
der Jahrtausendwende lagen die Prognosen grundsätzlich richtig.
Kleinere Abweichungen zum Auszählungsergebnis sind aber üblich.
Sollte das Rennen sehr knapp ausgehen, könnte es sein, dass bis zur
Auszählung eines Großteils der Stimmen keine Klarheit herrscht. Die
Ergebnisse werden für jeden Wahlkreis einzeln bekanntgegeben, die
Auszählung dürfte sich bis in die Morgenstunden hinziehen. Mit einem
offiziellen Endergebnis ist erst im Laufe des Freitags zu rechnen.

BESONDERHEITEN DES BRITISCHEN WAHLSYSTEMS

Großbritannien hat ein relatives Mehrheitswahlrecht. Ins Parlament
zieht nur der Kandidat mit den meisten Stimmen in seinem Wahlkreis
ein. Die Stimmen für unterlegene Kandidaten verfallen. Das führt
dazu, dass die beiden großen Parteien - also Konservative und Labour
- bevorzugt werden und bringt in der Regel klare
Mehrheitsverhältnisse.

In der jüngeren Vergangenheit kam es aber immer wieder zu einem «hung
parliament» - das bedeutet, dass weder Labour noch Konservative eine
absolute Mehrheit der Mandate im Unterhaus erreichen konnten.

Von den 650 Wahlkreisen in Großbritannien liegen 533 in England, 59
in Schottland, 40 in Wales und 18 in Nordirland. Theoretisch liegt
die Mehrheit bei 326 Sitzen. Weil aber die nordirisch-katholische
Partei Sinn Fein ihre Sitze traditionell nicht einnimmt, liegt die
Mehrheit faktisch etwas darunter. Bei der vergangenen Wahl gewann
Sinn Fein sieben Mandate.

WAHLBERECHTIGTE

Zur Wahl aufgerufen sind alle Briten, die mindestens 18 Jahre alt
sind, sich für die Wahl registriert und ihr Wahlrecht nicht verwirkt
haben, beispielsweise wegen einer Haftstrafe. Abstimmen dürfen auch
Bürger der Republik Irland und von Commonwealth-Staaten, die ihren
Wohnsitz in Großbritannien haben. Briten im Ausland dürfen nur an der
Wahl teilnehmen, wenn sie innerhalb der vergangenen 15 Jahre für eine
Wahl registriert waren. 2018 gab es 45,7 Millionen Wahlberechtigte.

REGIERUNGSBILDUNG

Bei klaren Mehrheitsverhältnissen beauftragt Königin Elizabeth II.
den Wahlsieger mit der Bildung einer Regierung. Sollte es zu einem
«hung parliament» kommen, müssen zuvor Verhandlungen über eine
Koalition oder die Duldung einer Minderheitsregierung stattfinden.
Die Konservativen von Premierminister Boris Johnson haben derzeit
kaum Aussicht auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit anderen
Fraktionen. Mit der nordirisch-protestantischen DUP, die Johnsons
Vorgängerin Theresa May nach der Wahl 2017 stützte, hat sich Johnson
im Streit über seinen Brexit-Deal überworfen. Die Umfragen sehen ihn
jedoch auf dem Kurs zu einer eigenen Mehrheit.

Die Chancen der Labour-Partei für eine eigene Mehrheit gehen dem
renommierten Wahlforscher John Curtice zufolge «gegen null».
Parteichef Jeremy Corbyn könnte aber auf die Hilfe der Schottischen
Nationalpartei SNP hoffen. Der Preis wäre jedoch ein baldiges
Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands, wie Parteichefin
Nicola Sturgeon deutlich machte. Auch die Liberaldemokraten könnten
Zünglein an der Waage spielen. Ihr Ziel ist es, den Brexit
abzuwenden. Daher wäre eine Zusammenarbeit mit Johnsons Tories nur
schwer vorstellbar - mit Labour schon eher.

WAS DAS WAHLERGEBNIS FÜR DEN EU-AUSTRITT BEDEUTET

Sollte Boris Johnson eine klare Mehrheit erreichen, könnte er schon
bald mit der Ratifizierung seines Brexit-Abkommens beginnen.
Zusammentreten soll das Parlament erstmals wieder am 17. Dezember.
Johnson kündigte bereits an, noch vor Weihnachten über seinen
Austrittsdeal abstimmen zu lassen. Der EU-Austritt soll dann am 31.
Januar vollzogen werden.

Anschließend würden die komplizierten Verhandlungen über ein
Freihandelsabkommen mit Brüssel beginnen, das bis spätestens Ende des
Jahres 2020 in Kraft treten muss. Dann endet die im Brexit-Deal
vereinbarte Übergangsfrist. Eine Verlängerung wäre zwar bis Ende Juni

noch möglich, doch das hat Johnson bereits ausgeschlossen.

Corbyn will innerhalb von drei Monaten einen neuen Brexit-Deal mit
enger Anbindung an die EU aushandeln und sechs Monate später den
Briten in einem Referendum vorlegen, die Alternative wäre ein
Verbleib in der Staatengemeinschaft.