Abschuss von Flugzeug im Iran vermutet - Untersuchungen laufen an

10.01.2020 13:48

Das bei Teheran abgestürzte Flugzeug ist möglicherweise versehentlich
von einer iranischen Rakete getroffen worden. Die Hinweise auf diese
Unglücksursache mehren sich. Die Bundesregierung fordert eine
lückenlose Aufklärung und bietet Hilfe an.

Washington/Teheran/Brüssel (dpa) - Nach dem Absturz einer
ukrainischen Passagiermaschine bei Teheran mehren sich die Hinweise
auf einen versehentlichen Raketenbeschuss durch den Iran als Ursache.
Die Regierungen in Kanada und Großbritannien haben nach eigenen
Angaben entsprechende Informationen. Diese Theorie wird nach
US-Medienberichten auch in den USA verfolgt. Immer mehr Staaten
bieten dem Iran Unterstützung bei der Klärung der Absturzursache an
oder fordern eine Beteiligung ein. Inzwischen steht fest, dass bei
dem Unglück auch vier Menschen aus Deutschland ums Leben kamen.

Nach iranischen Angaben vom Freitag haben die Ermittlungen zur
Klärung der Absturzursache begonnen. Iranische und ukrainische
Experten hätten ihre Arbeit in einem Labor am Flughafen Mehrabad in
Teheran aufgenommen, gab der Leiter der Luftfahrtbehörde, Ali
Abedsadeh, im Fernsehen bekannt. Ihr Ziel sei die Auswertung der
beiden schwer beschädigten Flugschreiber - des Flugdatenschreibers
und des Aufzeichners der Geräusche in der Pilotenkanzel. Dabei geht
es auch um die letzten Worte des Kapitäns.

Das Flugzeug der Ukraine International Airlines mit 176 Menschen an
Bord war am Mittwoch kurz nach dem Start in Teheran abgestürzt. Es
war auf dem Weg nach Kiew. Niemand überlebte das Unglück. Nur kurz
zuvor hatte der Iran zwei von US-Soldaten genutzte Stützpunkte im
Irak mit Raketen angegriffen. Der Iran hatte Spekulationen über einen
Abschuss zurückgewiesen und einen technischen Defekt als Ursache
genannt. Unter den Absturzopfern waren 63 Menschen aus Kanada und
mindestens 10 aus Schweden.

Bei dem Absturz kam auch eine Doktorandin aus Mainz und eine
Asylbewerberin aus Nordrhein-Westfalen mit ihren beiden Kindern um.
Das Max-Planck-Institut für Polymerforschung (MPI) in Mainz schrieb
am Freitag im Internet, man trauere um eine 29 Jahre alte Kollegin,
die «bei einem tragischen Zwischenfall in der Nähe ihrer Heimatstadt
Teheran verstorben ist». Das MPI bestätigte, dass es sich dabei um
den Absturz handelte. Zuvor hatten die «Bild»-Zeitung und die Mainzer
«Allgemeine Zeitung» über das Thema berichtet.

Bei den afghanischen Opfern handelt es sich um eine 30 Jahre alte
anerkannte Asylbewerberin und ihre Tochter (8) sowie ihren Sohn (5).
Sie hatten seit mehreren Jahren in Werl bei Soest gelebt, wie der
Bürgermeister der Stadt, Michael Grossmann (CDU), der Deutschen
Presse-Agentur sagte. Er berief sich auf den in Werl lebenden Bruder
der Frau. Zuvor hatte der «Soester Anzeiger» (Online) darüber
berichtet. Frau und Kinder hatten nicht die deutsche
Staatsbürgerschaft.

Regierungssprecher Steffen Seibert forderte am Freitag in Berlin,
alle möglichen Unglücksursachen in den Blick zu nehmen: «Die
Bundesregierung erwartet, dass es eine genaue Untersuchung der
zuständigen Stellen im Iran - und zwar in enger Zusammenarbeit mit
den in der Hauptsache betroffenen Nationen - gibt.» Die
Absturzursache müsse lückenlos aufgeklärt werden. «Auch deutsche
Experten stehen bereit, bei dieser Ermittlungsaufgabe mitzuhelfen,
sofern die gewünscht ist.»

Der Iran will Fachleute unter anderem aus den USA einbeziehen. Die
Nationale Behörde für Transportsicherheit in Washington erklärte,
dass sie sich an der Untersuchung beteilige. Paris bot technische
Hilfe an. «Frankreich ist bereit, zu dem nötigen Gutachten
beizutragen», sagte Außenminister Jean-Yves Le Drian am Freitag im
Sender RTL. Die Wahrheit müsse festgestellt werden.

Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven verlangte eine Beteiligung
seines Landes. Länder, deren Staatsbürger bei dem Absturz ums Leben
gekommen seien, müssten die Möglichkeit zur Beteiligung an den
Ermittlungen sowie volle Einsicht darin erhalten, teilte sein Büro
der Deutschen Presse-Agentur mit. Er sei sich in einem Telefonat mit
Kanadas Premierminister Justin Trudeau am späten Donnerstagabend
einig gewesen, dass Informationen zu einem vermuteten Abschuss durch
den Iran «eine zügige, vollständige und transparente Untersuchung»

noch notwendiger machten.

Trudeau sagte am Donnerstag, seine Regierung habe Informationen «von
mehreren Quellen, von unseren Alliierten und eigene Informationen».
Die Beweise seien «sehr klar». Großbritanniens Regierungschef Boris
Johnson sprach von einem «Korpus an Informationen», der auf einen
Abschuss durch eine iranische Rakete hinweise.

Der US-Sender CBS berichtete, US-Geheimdienste hätten Signale von
einem Radar empfangen, das eingeschaltet worden sei. US-Satelliten
hätten außerdem den Start von zwei Boden-Luft-Raketen kurz vor der
Explosion des Flugzeugs entdeckt. CNN berichtete, der Theorie eines
versehentlichen Abschusses durch den Iran lägen die Analyse von
Satelliten-, Radar- und anderen elektronischen Daten zugrunde, die
routinemäßig vom US-Militär und den Geheimdiensten gesammelt würden
.

Die Ukraine hat bereits eigene Experten in den Iran geschickt. Das
Land verlangt Beweise für die Abschussthese. «Unser Ziel ist es, die
unstrittige Wahrheit herauszufinden», sagte Präsident Wolodymyr
Selenskyj am Freitag in Kiew. Das sei auch die internationale
Gemeinschaft den Familien der Opfer schuldig. Vor allem an die
Regierungen von Kanada, Großbritannien und den USA gerichtet sagte
das Staatsoberhaupt weiter: «Wir rufen alle internationalen Partner
(...) dazu auf, der Ermittlungskommission Daten und Beweise zu
vorzulegen, die die Katastrophe betreffen.»

Der Leiter der iranischen Luftfahrtbehörde, Ali Abedsadeh, gab am
Donnerstagabend im iranischen Fernsehen bekannt, dass der Iran auch
Boeing-Fachleute aus den USA, Kanada und Frankreich an den
Untersuchungen beteilige. Sollte es aus technischen Gründen nicht
möglich sein, die Blackbox des Flugzeuges im Iran zu untersuchen,
wären auch Untersuchungen im Ausland denkbar. Es sollten alle
technischen Möglichkeiten in Betracht gezogen werden, um die
Absturzursache umgehend zu klären, sagte Abedsadeh. Die Vermutung,
die Maschine sei von einem iranischen Raketenabwehrsystem getroffen
worden, bezeichnete er als absurd.

Aufgrund der Sicherheitslage in der Region hatte die Lufthansa am
Donnerstag ein Flugzeug auf dem Weg in die iranische Hauptstadt
Teheran umkehren lassen. Auch der Lufthansa-Flug von und nach Teheran
am Freitag wurde gestrichen.